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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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es.«
    Sie untersuchte den Beutel und fragte: »Gute Tante, bitte laß mich erst wissen, was das ist.«
    »Schlucke es nur erst einmal und dann werde ich es dir sagen, sonst wirkt der Zauber nicht.«
    Meiniang gehorchte. Sie tat das Pulver in eine Schale und goß es mit heißem Wasser auf. Wegen des unerträglichen Gestanks hielt sie sich die Nase zu und trank alles schnell auf.
    »Mein Kind«, sagte Tante Lü, »willst du wirklich wissen, um was es sich handelt?«
    »Ja.«
    »Gut, dann will ich es dir sagen. Die Tante konnte es einfach nicht ertragen, daß eine schöne junge Frau wie du sich so selbst zerfleischt. Um dich zu heilen, habe ich zu einem uralten Rezept gegriffen. Es wurde mir von meinen Vorfahren vermacht. Eine Besonderheit daran ist, daß es immer nur an die Schwiegertöchter weitergegeben wurde, nie an die Töchter. Um dir die Wahrheit zu sagen: das, was du gerade geschluckt hast, waren die Ausscheidungen deines Herzensmannes! Und zwar die echten, nicht etwa ein falscher Ersatz. Es war für mich kein Leichtes, an dieses Heilmittel heranzukommen. Ich habe die drei Schnüre Kupfergeld aufgewendet, um den Vierten Hu, den Koch der Familie des Präfekten, zu bestechen. Er hat es für mich aus der Latrine geholt. Ich habe diesen wertvollen Schatz dann auf Ziegeln trocknen lassen, zu Pulver zerrieben und mit Krotonen- und Rhabarberpulver vermischt. Es ist eine starke Medizin, die das Feuer des Herzens zum Erlöschen bringt. Ich wende dieses Verfahren nicht leichtfertig an, denn der Fuchsgott hat mich gewarnt, daß dieses Zaubermittel das Leben verkürzen kann. Aber du hast mir so leid getan! Was sind schon zwei Jahre weniger an Lebenszeit gegen das endlose Glück der Liebe. Mein Kind, dieses Mittel hat dich gelehrt, daß die Exkremente des majestätischen Qian Ding nicht weniger stinken als die anderer Leute ...«
    Tante Lü hatte noch nicht ausgesprochen, da krümmte sich Meiniang und gab einen großen Schwall grünfarbener Masse von sich.
    Nach dieser furchtbaren Episode besserte sich ihr Zustand  – zumindest an der Oberfläche. Die Sehnsucht nach Seiner Exzellenz Qian blieb zwar weiterhin bestehen, aber sie war schon nicht mehr so existentiell wie vordem. Bald hatte sie wieder Appetit und konnte wieder Salziges von Süßem unterscheiden. Ihr Körper erholte sich nach und nach von all den Strapazen. Nach dieser haarsträubenden Feuertaufe der Liebe hatte sie ein wenig von ihrer Schönheit eingebüßt, aber sie fühlte sich geläutert. Nachts aber fand sie wenig Schlaf, und es waren nach wie vor die hellen Vollmondnächte, die ihr zu schaffen machten.

5.
    Der feine Strahl des Mondes aus Gold- und Silberpuder regnete auf die Papierfenster. Xiaojia lag, alle viere von sich gestreckt und laut schnarchend, auf dem Kang. Meiniang ging nackt, wie sie war, auf den Hof hinaus und spürte, wie das Mondlicht sie wie Wasser umspielte. Dieses wunderbare, unvergleichliche Gefühl ließ sie erneut melancholisch werden. Die Wurzeln ihrer Krankheit ließen sich keine Gelegenheit entgehen, immer wieder zarte Keimlinge sprießen zu lassen. »Qian Ding, Qian Ding, Exzellenz Qian, mein Liebling, wirst du jemals erfahren, daß es eine Frau gibt, die wegen dir keinen Schlaf findet? Wirst du je erfahren, daß ein Körper gleich einem überreifen Honigpfirsich darauf wartet, von dir genossen zu werden ... O du Mond am Himmel, Gott der Frauen, unser engster Vertrauter, bist du nicht auch ein Ehestifter, heißt es nicht so in den alten Büchern? Wenn du der alte Mond bist, den die Tradition den besten Ehevermittler nennt, warum gehst du nicht hin und übermittelst ihm meine Botschaft? Wenn du es nicht bist, wer ist dann der Stern, der über die menschliche Liebe wacht?« Ein weißer Nachtvogel fiel vom Mond herab und ließ sich auf der Platane im Hof nieder. Meiniangs Herz machte einen Sprung. »Mond, ach, alter Mond, du wirkst Wunder, du hast weder Augen noch Ohren und doch entgeht dir nichts auf Erden, du vernimmst selbst das Geflüster in den dunkelsten Zimmern. Hast du mein Gebet erhört und schickst mir diesen weißen Vogel als Boten? Was für ein Vogel ist das? Ein Vogel mit reinem Gefieder und goldenen Augen, ein schöner und eleganter Vogel, ein wahrer Phönix! Mein Verlangen ist flammender als eine Feuersbrunst, bewegender als der Herbstregen, vielfältiger als die bunten Frühlingswiesen. Nimm es in deinen weißen Jadeschnabel und trage es zu meinem Geliebten. Sag ihm, daß ich für ihn ein Gebirge aus Schwertern

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