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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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durchwandern und ein Meer aus Feuer durchschwimmen will, sag ihm, daß ich bereit bin, zu einer Türschwelle zu werden, auf die er tritt, daß ich das Pferd werden möchte, das unter seinen Peitschenhieben losgaloppiert. Sag ihm, ich habe seine Exkremente gegessen ... Exzellenz, mein geliebter Herr, mein Bruder, mein Herz, mein Leben ... Vogel, lieber Vogel, mach dich auf den Weg ... bring ihm die Schenke meiner Leidenschaft, die Blüten meiner Liebe, die meinen Duft atmen. Jede Blüte ist wie ein Wort meiner Liebe und dieser ganze Baum ist wie ein tausendfacher Liebesschwur ...« Tränenüberströmt stand Meiniang unter dem Platanenbaum und sah zu dem Vogel auf, unablässig drang zwischen ihren zitternden roten Lippen ihr leises Flehen hervor. Himmel und Erde waren erschüttert. Der weiße Vogel aber stieß ein helles Krächzen aus, breitete die Flügel aus und verschwand im Mondlicht. Mit nur einem Flügelschlag war er ihrem Blick entschwunden, wie ein Lichtstrahl, der in ein Feuer fällt ...
    Laute und wiederholte Schläge gegen die Tür ließen die im Taumel ihrer Leidenschaften versunkene Sun Meiniang zu Tode erschrecken. Sie lief ins Haus, um sich etwas überzuziehen, nahm sich aber keine Zeit mehr, um Schuhe anzuziehen, sondern eilte mit ihren nackten, großen Füßen über den vom Tau der Nacht feuchten Lehmboden zum Haupttor. Mit einer Hand auf dem Herzen und zitternder Stimme fragte sie: »Wer ist da?«
    Sie erwartete ein Wunder; sie hoffte, daß irgendein Gott ihr Flehen gehört hatte und sich ihrer erbarmte. Sie erwartete den Mann ihrer Träume. Aber die Stimme, die sie hörte, war eine ganz andere. »Meiniang, mach die Tür auf!«
    »Wer ist da?«
    »Tochter, ich bin es, dein Vater!«
    »Vater? Was willst du hier mitten in der Nacht?«
    »Hör auf zu fragen. Dein Vater ist in Schwierigkeiten, mach auf!«
    Sie beeilte sich, den ächzenden Riegel aufzuschieben, und öffnete das Tor. Da fiel ihr ihr Vater, der berühmte Opernschauspieler aus Dongbei, direkt vor die Füße. Im Licht des Mondes sah sie sein blutüberströmtes Gesicht. Von seinem Bart, der in jenem Bartwettkampf so glimpflich davongekommen war, waren nur noch ein paar vereinzelte Haare übrig, die sich zwischen den Blutflecken auf seinem Kinn kringelten.
    »Vater, was ist passiert?«
    Sie weckte Xiaojia und gemeinsam hievten sie Sun Bing auf den Kang. Mit ein paar Eßstäbchen bog sie ihm so gut es ging den Kiefer auseinander und flößte ihm kaltes Wasser ein. Schließlich kam er wieder zu sich. Als er wieder zu sich kam, strich er sich über das nackte Kinn und brach in ein klägliches Weinen aus. Der kräftige Mann weinte zum Herzerbarmen, als wäre er ein kleines Kind. Es quollen ihm immer noch Blutstropfen aus dem Kinn und das, was von seinem Bart übriggeblieben war, war vollkommen verdreckt. Sie schnitt die Haare mit der Schere zurecht, nahm weißes Mehl aus dem Mehltopf und versorgte damit die Wunden auf dem Kinn. Das Gesicht ihres Vaters war zur völligen Unkenntlichkeit entstellt, so daß es regelrecht monströs aussah.
    »Wer hat dich denn bloß so zugerichtet?«
    Grüne Funken der Wut sprühten aus den tränenverhangenen Augen Sun Bings. Seine Gesichtsmuskeln zuckten und er knirschte mit den Zähnen, als er antwortete: »Er war's, das steht außer Frage. Er hat mir den Bart ausgerissen. Warum läßt er mich nicht in Frieden? Er ist doch zum Sieger ausgerufen worden. Erst verkündet er vor allen Leuten, daß er mir vergibt und dann läßt er mich hinterrücks überfallen! Dieser verdammte Höllenhund, hinterhältiger Bandit!«
    Meiniang schämte sich. Sie fühlte sich mit einemmal von ihrer Liebeskrankheit geheilt. Wie hatte sie die Leidenschaft in den vergangenen Monaten durcheinandergebracht! War sie nicht fast die Komplizin Qian Dings, der ihren Vater so tief verletzt hatte? Exzellenz Qian, dachte sie, was seid Ihr doch für ein übler und wortbrüchiger Mensch! Ein großmütiger und treusorgender Landesvater wollt Ihr sein? In Wahrheit seid Ihr ein brutaler und gnadenloser Verbrecher. In was für einen Zustand habt Ihr mich versetzt, nur noch ein Schatten meiner selbst war ich. Doch, daß Ihr jetzt auch noch wagt, meinen Vater anzugreifen, einen Menschen, der sich bereits vor Euch gedemütigt hat und seine Niederlage eingestanden hat, das verzeihe ich Euch nicht. Vor aller Augen habt Ihr ihn für frei und ledig erklärt, und ich bin gerührt vor Euch in die Knie gegangen, und habe auch noch mein Herz an Euch verloren. Dabei

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