Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
Vom Netzwerk:
zu große Angst vor einem Skandal. Meiniang brannte vor Verlangen, sie strampelte im Meer der Leidenschaft ums Überleben.
    Schließlich begann sie, Blut zu spucken. Diese Tatsache brachte sie ein wenig zur Vernunft. Er ist ein erhabener Präfekt, dachte sie, ein vom Hof bestallter Beamter, und was bist du? Die Tochter eines Schauspielers, die Frau eines Metzgers, eine Frau mit großen Füßen. Er ist wie der hohe Himmel, und du bist wie die flache Erde; er ist ein geschmeidiges Einhorn und du bist eine räudige Hündin. Diese einem Präriefeuer gleichende, einseitige Liebe war von vornherein zum Scheitern verurteilt. Du leidest wegen ihm die schlimmsten Qualen, und er merkt nicht das geringste. Und selbst wenn er etwas merken würde, würde es ihm nicht einmal ein Lächeln entlocken. Er würde deine Zuneigung in keiner Weise erwidern. Und wenn du dich verzehrst und stirbst, dann hast du eben Pech gehabt; niemand wird dich bedauern, niemand wird dich verstehen, alle werden sich lustig machen über dich und dich demütigen. Sie werden über dich lachen, weil du nichts von der Welt verstehst, weil du zwei und zwei nicht zusammenzählen kannst. Die Leute werden deine albernen Wunschvorstellungen verhöhnen, ein Affe, der den Mond aus dem Wasser fischen will, eine, die mit dem Bambuskorb Wasser holen will, eine Kröte, die Schwanenfleisch essen will, das bist du. Wach auf, Sun Meiniang, und komm zur Vernunft, gib dich zufrieden mit dem, was du hast. Vergiß ihn! Und sei der Mond noch so schön, er hält nicht warm. Und ist Seine Exzellenz auch noch so wunderbar, er bleibt im Himmel wohnen. Sie faßte den Entschluß, Seine Exzellenz Qian, der sie so gequält hatte, daß sie Blut spucken mußte, endgültig aus ihren Gedanken zu verbannen. Sie zerkratzte sich mit den Fingernägeln die großen Füße, stieß sich Nadeln in die Fingerspitzen, trommelte sich mit den Fäusten auf den Schädel, aber Seine Exzellenz Qian war ein Dämon, der sich nicht abschütteln ließ. Er war untrennbar mit ihr verbunden, ein Schatten, der ihrer Gestalt folgte, den kein Wind vertreiben, kein Regen abwaschen, kein Messer abschneiden und kein Feuer verbrennen konnte. Sie nahm den Kopf zwischen die Hände und weinte vor Verzweiflung. Leise fluchte sie vor sich hin: »Liebster, Liebster, laß mich los ... Sei mir gnädig, bitte, ich habe mich geändert, ich werde es nie wieder tun, willst du denn, daß ich sterbe?«
    Um Qian Ding vergessen zu können, begann sie, den in diesen Dingen völlig unbeholfenen Xiaojia in die Kunst der körperlichen Liebe einzuweisen. Doch Xiaojia war nicht Qian Ding, so wenig wie ein Rhabarber ein Ginseng ist. Xiaojia war nicht die Medizin, die sie von Qian Ding kurieren konnte. Wenn sie mit Xiaojia geschlafen hatte, fühlte sie ihre Sehnsucht nach Qian Ding nur um so dringlicher, es war, als hätte man Öl ins Feuer gegossen. Als sie vom Rand des Brunnens ihr Spiegelbild im Wasser betrachtete, sah sie ein verwelktes Gesicht vor sich, vor ihr verschwamm alles und sie fühlte Bitternis und Süße zugleich in ihrem Rachen aufsteigen. Himmel, muß es wirklich so enden? dachte sie. Muß ich wirklich sterben, ohne daß ich weiß, wie mir geschieht? Nein, ich will nicht sterben, ich will leben.
    Sie nahm sich zusammen, faßte Mut, griff sich ein Hundebein und zwei Schnüre Kupfermünzen und machte sich auf den Weg durch die gewundenen Gassen bis zur Straße der Unsterblichen von Nanguan, wo sie an die Tür von Tante Lü klopfte, der Hexe. Sie nahm das köstlich duftende Hundebein und die ölig glänzenden Kupferschnüre und legte sie auf den Opfertisch Tante Lüs, vor die Statue des Fuchsgottes. Der Duft des Hundebeins zog Tante Lü in die Nase, und beim Anblick der Kupfermünzen blitzten ihre trüben Augen. Tante Lü bekam einen schier endlosen Asthmaanfall. Um ihr Asthma etwas zu beruhigen, zündete sie einen arabischen Stechapfelzweig an. Gierig inhalierte sie den Rauch. Dann sagte sie: »Große Schwester, du mußt an einer schweren Krankheit leiden.«
    Sun Meiniang kniete sich auf den Boden und flehte mit tränenerstickter Stimme: »Tante, Tante, errette mich ...«
    »Nun sag schon, mein Kind.« Tante Lü sog den Geruch der Stechapfelblüten ein, sah sich Meiniang genauer an und sagte bedeutungsschwanger: »Was man Vater und Mutter nicht erzählen kann, das kann man dem Doktor anvertrauen, also sprich nur.«
    »Tante, ich kann es einfach nicht sagen ...«
    »Alles kann man dem Doktor sagen, auch wenn man es den Heiligen

Weitere Kostenlose Bücher