Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)
sehen!«
»Liebe Tochter, ich weiß, an mir ist nicht viel Gutes. Aber ich bin schließlich dein Vater. Deshalb rate ich dir, nicht zu ihm zu gehen. Dein Vater hat nun eine halbe Nacht darüber geschlafen und ihm ist vieles klargeworden. Wenn mir jemand den Bart ausgerissen hat, dann ist das die Strafe für meine Vergehen. Niemand anders hat etwas damit zu tun. Ich werde aufhören mit der Katzenoper. Mein ganzes Leben lang habe ich gesungen, und zwar schlecht. Ich habe Zeilen gesungen wie diese: ›Lege deine alte Haut ab und werde ein neuer Mensch‹. Für mich bedeutet das jetzt: ›Laß dir den Bart ausreißen und werde ein neuer Mensch‹!«
»Ich gehe nicht nur wegen dir!«
Meiniang ging in die Küche, fischte mit einer Bambuszange die Hundebeine aus dem Topf, prüfte, ob sie gar waren und gab noch etwas würziges Salz dazu. Dann suchte sie ein paar getrocknete Lotusblätter, wickelte die Hundbeine darin ein und legte sie in ihren Bambuskorb. Aus dem Korb mit Xiaojias Schlachtutensilien zog sie ein Messer zum Entbeinen, prüfte mit den Fingerspitzen die Schärfe der Klinge und machte ein zufriedenes Gesicht. Dann versteckte sie das Messer ganz unten im Korb. Xiaojia fragte verblüfft: »Frau, was willst du mit dem Messer?«
»Ich will jemanden umbringen!«
»Wen?«
»Dich!«
Xiaojia griff sich an den Hals, dann begann er zu lachen: »Nein, nein. Dich selbst willst du umbringen!«
7.
Vor dem Tor des Yamen drückte Sun Meiniang dem bewaffneten Wachposten Kleiner Dun verstohlen ein Silberarmband in die Hand, zwickte ihn ins Bein und sagte geheimnistuerisch: »Mein lieber Bruder, laß mich hinein.«
»Hinein, wozu?« Kleiner Dun kniff die Augen zusammen und deutete mit dem Kinn auf die Trommel an der Seite des Tores: »Wenn du eine Klage vorbringen willst, schlag die Trommel.«
»Wenn mir jemand unrecht getan hätte, müßte ich dann herkommen und die Trommel schlagen, um das Gesetz anzurufen?« Sie preßte ihre duftende Wange an das Ohr von Kleiner Dun und sagte im Flüsterton: »Euer Exzellenz hat jemanden nach mir geschickt. Er hat Lust auf Hundefleisch.«
Kleiner Dun schnüffelte übertrieben und sagte: »Das riecht, o ja, das riecht – wirklich gut! Ich hätte nicht gedacht, daß Seine Exzellenz Qian etwas für Hundefleisch übrig hat!«
»Wer unter euch stinkenden Mannsbildern hat nichts dafür übrig?«
»Große Schwester, wartet, bis Seine Exzellenz sich satt gegessen hat, dann laßt ihr den kleinen Bruder noch ein wenig an den übriggebliebenen Knochen nagen ...«
Meiniang spuckte ihm ins Gesicht.
»Du verdammter Flegel, du kommst schon nicht zu kurz! Sag mir lieber, in welchem Zimmer sich Seine Exzellenz gerade befindet!«
»Wo er jetzt ist, tja ...« Kleiner Dun blinzelte in die Sonne. »Normalerweise müßte er jetzt in seinem Amtszimmer sein.«
Sie passierte das Haupttor, ging durch den Vorhof, in dem der Bartwettstreit stattgefunden hatte, und trat durch das Zeremonientor in den Hof ein, um den sich die Büros der Sechs Ämter gruppierten. Dann folgte sie dem gewundenen Korridor, der von der Ostseite der Großen Halle abging. Jeder, auf den sie traf, musterte sie mit neugierigen Blicken und sie erwiderte diese Blicke mit einem honigsüßen, devoten Lächeln, das deren Phantasie Raum gab. Den Schergen, an denen hüftwackelnd vorbeizog, lief bei ihrem Anblick das Wasser im Mund. Sie tauschten vielsagende Blicke. Hundefleisch, ja ja, Hundefleisch, dafür hatte Seine Exzellenz schon immer etwas übrig. Das ist mir eine schöne fette Hündin ... Ein lüsternes Grinsen überzog ihr Gesicht.
Als sie in der Zweiten Halle war, spürte sie ihr Herz bis zum Hals klopfen. Sie hatte einen trockenen Mund und die Knie wurden ihr weich. Ein junger Sekretär, der ihr den Weg gewiesen hatte, war stehengeblieben und wies mit gespitzten Lippen zum Amtszimmer des Präfekten an der Ostseite. Sie ging dorthin und wollte sich eben zu ihm umdrehen, um sich zu bedanken, da hatte er sich schon in den Hof zurückgezogen. Da stand sie nun also allein vor der mit reichem Schnitzwerk versehenen, imposanten Tür und atmete tief durch, um die Wogen ihrer inneren Erregung zu glätten. Hinter der zweiten Halle lag der Hof des Steuereintreibers, aus dem ein betörender Veilchenduft herüberwehte, der sie nur noch unruhiger machte. Sie ordnete ihr Haar, rückte die rote Samtblume zurecht und strich sich über das Kleid. Dann zog sie ganz vorsichtig die Tür auf, hinter der ein blauer, mit zwei weißen Reihern
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