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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Städtchens entlangging, fühlte er sich hin- und hergerissen zwischen Scham, Wut und Trauer. Seine einzigen klaren Empfindungen waren der dumpfe Schmerz an seinem Kinn, das Fieber in seinen Ohren und der Schweiß an seinen Händen. Wenn er auf alte Bekannte traf, die ihn grüßten, lief er rot an, noch bevor er den Mund aufgemacht hatte. Beinahe aus jeder Bemerkung hörte er versteckten Hohn und Spott heraus. Gerne hätte er seinem Ärger Luft gemacht, doch er fand keinen passenden Vorwand.
    Nachdem er im Yamen eingetroffen war, bat ihn ein Amtsdiener in die Empfangshalle. Dort warf Sun Bing den Ehrenschirm auf den Boden und schickte sich an, wieder zu gehen. Da vernahm er von draußen das helle Lachen Qian Dings. An diesem Tag trug der Präfekt eine langärmlige Amtsrobe und einen Hut mit roter Quaste; in der Hand hielt er einen weißen Papierfächer. Er war eine rundum würdevolle und vornehme Erscheinung. Nun kam er eilends auf Sun Bing zu, ergriff seine Hand und hieß ihn herzlich willkommen. Dann sagte er: »Ach, Sun Bing, ohne diese Auseinandersetzung damals hätten wir beide uns niemals kennengelernt. Alles hat seine guten Seiten.«
    Sun Bing sah den herrlichen Bart des Präfekten und mußte an seinen eigenen, einst nicht weniger herrlichen Bart denken, an dessen Stelle jetzt nur noch ein wie von der Krätze kahl gewordenes, häßliches Kinn übrig war. Die widersprüchlichsten Empfindungen stiegen in ihm auf. Eigentlich hätte er gern deutliche Worte gesagt, doch alles, was er herausbekam, war: »Euer ergebener Diener ist von den Einwohnern Dongbeis damit beauftragt worden, Exzellenz diesen Schirm zu überbringen ...«
    Während er sprach, öffnete er den großen, roten, mit den Namen der Dorfbewohner versehenen Ehrenschirm und hielt ihn Qian Ding hin. Der Präfekt war ergriffen: »Gütiger Himmel, ich bin doch nur ein bescheidener Staatsdiener ohne Talent und Tugend, warum sollte mir eine so große Ehre zuteil werden? Das habe ich wirklich nicht verdient, das kann ich nicht annehmen ...«
    Die Bescheidenheit Qian Dings half Sun Bing, sich ein wenig zu entspannen. Kerzengrade aufgerichtet bat er den Präfekten: »Falls Exzellenz keine weiteren Wünsche haben, erlaube ich mir, mich zu verabschieden.«
    »Du hast als Abgeordneter von Dongbei den weiten Weg auf dich genommen, um mir die Ehre dieses Geschenks zu erweisen, und willst jetzt einfach so mir nichts dir nichts wieder gehen?« Laut rief Qian Ding: »Chunsheng!«
    Chunsheng war sofort zur Stelle und verbeugte sich: »Exzellenz wünschen?«
    »Ich wünsche, daß im Speisesaal ein Bankett angerichtet wird, und zwar ein erlesenes«, sagte Qian Ding. »Und sage dem Schreiber, daß er eine Einladung an die zehn größten Würdenträger der Präfektur verschicken soll, damit sie unserem Ehrengast Gesellschaft leisten.«
    Das Bankett fiel ausgesprochen üppig aus. Der Präfekt persönlich hob immer wieder seinen Weinbecher und nötigte die Herrschaften, anzustoßen; die zehn Honoratioren der Präfektur brachten abwechselnd Trinksprüche auf Sun Bing aus und schenkten ihm so reichlich nach, daß ihm ganz schwindelig wurde und er den Boden nicht mehr unter den Füßen spürte. Sein Groll und seine Scham hatten sich in Luft aufgelöst. Als ihn die Amtsdiener an den Armen nahmen, um ihm aufzuhelfen und hinauszubegleiten, räusperte er sich und stimmte einen Vers aus der Katzenoper an:
    »Der einsame König saß im Pfirsichblütenpalast und gedachte der Schönheit und der Reize des Fräuleins Zhao ...«
    Während des vergangenen Jahres waren die Bewohner von Dongbei recht zufrieden gewesen, doch gab es auch Dinge, über die sie gar nicht glücklich waren. Was sie am meisten bekümmerte, war, daß die Deutschen eine Eisenbahnlinie von Qingdao nach Jinan bauen wollten, die auch Dongbei passieren sollte. Gerüchte, daß die Deutschen einen solchen Eisenbahnbau im Sinn hätten, gingen schon länger um, doch die Leute hatten sie nicht ernst nehmen wollen. Erst als im vergangenen Jahr der Bahndamm aufgeschüttet worden war, hatten sie den Ernst der Lage begriffen. Wenn man sich jetzt ganz oben auf den Deich des Masang stellte, konnte man von dort den von Südosten her fortschreitenden Bau der Bahnlinie beobachten. Hinter Masang hatten die Deutschen entlang der Strecke Bauhütten und Lagerhallen für das Baumaterial der Strecke errichtet. Es sah aus, als hätte sich ein Drache zum Schlafen auf die Felder gelegt, und als würde dieser Drache bald erwachen ...
    Nachdem Sun

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