Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die sanfte Hand des Todes

Die sanfte Hand des Todes

Titel: Die sanfte Hand des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbie Taylor
Vom Netzwerk:
Dawn hatte sich unwohl dabei gefühlt. Wie konnten die Polizisten Waffen auf eine Station bringen, auf der lauter kranke, schwache Menschen lagen?
    Aber warum wünschte Clive Franks den Tod, wenn er sein Dealer war? Junkies brachten doch nicht ihre Dealer um. Sie waren von ihnen abhängig.
    Andererseits brauchte Clive keinen Dealer mehr. Immerhin konnte er sich im Krankenhaus nach Herzenslust selbst bedienen. Vielleicht saß ihm James Franks im Nacken, vielleicht hatte er Schulden bei dem Dealer, vielleicht wollte Franks den guten Kunden nicht kampflos aufgeben. Und so nutzte Clive die erstbeste Gelegenheit, Franks ein für alle Mal loszuwerden. Der Plan musste ihm genial erschienen sein. Aber nun würde Dawn alles ruinieren. Sie hatte ihm damit gedroht, ihn bloßzustellen, ihn hinauswerfen zu lassen, ihm den Zugang zu der Droge zu verwehren. Clive hatte jetzt nichts mehr zu verlieren; er würde der Polizei erzählen, was er über sie wusste.
    Die Ampulle fühlte sich kalt und glatt an wie eine Patrone.
    Lewis , dachte sie plötzlich. Den ganzen Tag über hatte er allein in seinem Einzelzimmer gelegen, mit einem frisch operierten Bein, mit Schrauben und Nägeln im Knochen. Und sie hatten ihm nichts gespritzt als Wasser. Er musste wahnsinnig werden vor Schmerzen.
    Dawn eilte in den Lagerraum, zog das Morphium in eine Spritze auf und klebte den blauen Hinweisaufkleber für Opiate darauf. Dann ging sie zu Lewis, der sich mit der einen Hand am Bettrahmen festklammerte, während die andere wie eine Kralle über dem Gips schwebte, so als versuchte
er, sich den Verband vom Bein zu reißen. Sein Gesicht wirkte so fahl wie das von Clive.
    »Ich dachte schon, Sie kommen nicht mehr«, stöhnte er.
    »Es tut mir leid.« Dawn zog die Kappe von der Spritze. »Es tut mir so leid. Aber jetzt wird alles gut.«
    »Das Zeug hilft nicht. Ich habe schon genug davon bekommen.« Lewis’ geweitete Pupillen waren schwarz und riesengroß. Fast so, als könnte man direkt in seinen Kopf hineinsehen.
    »Diesmal wird es dir helfen«, sagte Dawn, »versprochen. Das ist ein anderes Mittel.«
    Lewis’ Qualen hatten andere Ursachen als die von Clive, aber das Heilmittel war dasselbe. Dawn führte die Nadel in die Braunüle in Lewis’ Hand ein und presste den Kolben hinunter, bis die Spritze leer war. Die Vene unter der Haut schwoll an, als das Morphium in seinen Körper floss.
    Es dauerte weniger als eine Minute. Lewis’ Krallenhand entspannte sich und sank auf die Bettdecke. Er seufzte auf und ließ den Kopf in die Kissen sinken.
    »Besser?«, fragte Dawn sanft.
    Lewis nickte. Irgendwo da draußen stolperte Clive durch die Nacht; er stand in einer dunklen Gasse und versuchte, mit den Entzugserscheinungen zurechtzukommen, so gut er konnte. Es würde ihn große Anstrengungen kosten, sich Erleichterung zu verschaffen. Aber für Lewis war die Qual nun vorbei. Seine Pupillen nahmen wieder ihre normale Größe an. Sein Blick wirkte nicht mehr glasig, und seine eben noch bleiche Haut wurde rosig. Er lag zufrieden auf den Kissen und brachte sogar ein verträumtes Lächeln zustande.
    »Danke, Schwester«, sagte er.
     
    Den Rest der Nacht über schlief Lewis tief und fest. Von diesem Luxus konnte Dawn nur träumen. Sie kehrte immer
wieder in ihr Büro zurück, um in die Schublade mit den manipulierten Morphiumampullen zu starren. Eigentlich hatte sie sie gleich am nächsten Morgen an Claudia Lynch übergeben wollen. Was sollte sie tun? Wenn sie Clive verriet, würde er schnurstracks zur Polizei laufen und die Wahrheit über Mrs. Walker erzählen. Trotzdem konnte sie nicht einfach so tun, als hätte es den Zwischenfall in dem Umkleideraum nicht gegeben. Die Ampullen in den Schrank zurückzulegen und zu verwenden kam nicht infrage. Genauso wenig konnte sie sie entsorgen. Die Apotheker würden die Station stürmen wie ein Rudel Bluthunde, um das vermisste Morphium zu suchen.
    Aber warum sollte sie nicht zu Claudia gehen? Wenn Clive sich rächte, indem er von Mrs. Walker sprach, würde sie es einfach abstreiten. Wem würden die anderen glauben? Clive? Einem kaputten, rachsüchtigen Junkie? Ja, er konnte zur Polizei gehen, aber es würde ein Spießrutenlauf werden.
    Die Stunden bis zum Morgen zogen sich hin. Es dauerte eine Ewigkeit, bis Dawn endlich die Frühschicht einweisen konnte. Um acht Uhr verließ sie die Station, den Umschlag mit den Ampullen in ihrer Handtasche. Claudias Büro lag im Erdgeschoss der Klinik und war von der Lobby aus zu erreichen. Man

Weitere Kostenlose Bücher