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Die sanfte Hand des Todes

Die sanfte Hand des Todes

Titel: Die sanfte Hand des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbie Taylor
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ihr Büro, das bei geschlossener Tür kaum Platz für zwei Personen bot. Dawn nahm einen Stapel Fachzeitschriften vom einzigen Besucherstuhl und legte ihn in den Aktenschrank.
    »Bitte«, sagte sie, »setzen Sie sich.«
    Clive nahm auf der Stuhlkante Platz. Er berührte das Polster kaum, so als könnte es ihm den Hintern verbrennen. Um seinen Hals hing eine lange Silberkette mit einem riesigen, klobigen Medaillon. Seine Lippen wirkten schmal. Trotz ihrer Wut fühlte Dawn so etwas wie Mitleid. Wahrscheinlich hatte er von Mrs. Walkers Tod erfahren und ein furchtbares Wochenende hinter sich.
    »Sicher wissen Sie, warum ich mit Ihnen sprechen möchte«, begann Dawn. »Es geht um Donnerstag, um Mrs. Walker.«
    Clive schwieg und presste die Lippen noch fester zusammen.
    »Ich habe lange darüber nachgedacht«, sagte Dawn, »genauso
wie Sie, nehme ich an. Und ich bin zu einer Entscheidung gelangt. Wenn Sie mir versprechen, dass so was nie wieder vorkommt, werde ich den Vorfall nicht melden.« Clives verkniffener Gesichtsausdruck änderte sich nicht, aber an seinen herabsinkenden Schultern merkte sie, dass er durchatmete. Er war erleichtert. Und ein bisschen überrascht. Dawn sah seine Augenbrauen zucken.
    Mit fester Stimme sagte sie: »Sie müssen es mir versprechen. Jede weitere Misshandlung von Patienten werde ich strikt ahnden. Falls Sie zu viel Arbeit haben und überfordert sind, sollten Sie um Hilfe bitten oder sich an mich wenden. Aber lassen Sie Ihre Probleme bitte nicht an den Patienten aus. Haben Sie mich verstanden?«
    »Ja, Schwester.«
    Er wirkte sanftmütiger als sonst. Bei genauerem Hinsehen bemerkte Dawn, dass er rasiert war. Sein Gesicht wirkte gepflegter als sonst. Er hatte sich das Haar gewaschen und zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden, statt es offen zu tragen. Nur das klobige Medaillon an seiner Brust störte sie. Sie konnte ihn genauso gut an Ort und Stelle darauf ansprechen. Dann hätte sie auch das hinter sich gebracht.
    Sie sagte: »Clive, tut mir leid, aber da ist noch etwas. Die Kette muss weg. Ich habe gesehen, dass die Patienten damit in Kontakt kommen. Es besteht ein Infektionsrisiko. Die Arbeitsrichtlinien sehen vor, dass wir keinen Schmuck tragen dürfen.«
    Clive hob den Kopf. »Aber das ist meine Allergiekette!«
    »Ihre was?«
    »Ich bin allergisch gegen Penicillin.« Er hob das Medaillon in die Höhe, um es ihr zu zeigen. »Sehen Sie?«
    Auf die Vorderseite des Anhängers war das Wort Penicillinallergie über einem großen, reliefartigen Totenschädel eingraviert.

    »Ich wusste gar nicht, dass Sie gegen Penicillin allergisch sind.« Dawn klopfte mit ihrem Kugelschreiber auf die Schreibtischplatte.
    »Tja, bin ich aber. Und mein Arzt hat gesagt, dass ich den Anhänger unbedingt und jederzeit tragen muss.«
    Dawn kannte sich mit Allergiewarnungen aus. Viele Leute trugen welche, aber normalerweise weniger demonstrativ.
    »Könnte es nicht ein bisschen kleiner sein?«, fragte sie. »Ein Armband? Oder vielleicht ein dünneres Kettchen?«
    »Eine dünne Kette könnte reißen«, entgegnete Clive, »außerdem muss das Medaillon gut sichtbar sein. Das ist doch der Sinn der Sache. Es handelt sich um eine lebensbedrohliche Allergie. Ich könnte sterben.«
    Er sprach in ernstem Ton, aber in seinen Augen funkelte es boshaft. Dir werd ich es zeigen. Bilde dir bloß nicht ein, du könntest mich herumkommandieren . In dieser Frage würde sich die Personalverwaltung auf seine Seite schlagen, das wussten sie beide. Mit einem Mitarbeiter, der sich einer Lebensgefahr aussetzte, fing man keine Diskussionen an.
    Dawn versuchte, ruhig zu bleiben. »Gut«, sagte sie. »Wenn Sie es unbedingt tragen müssen, habe ich kein Problem damit, aber bitte stecken Sie es unter den Kittel. Es darf den Patienten nicht ins Gesicht baumeln.«
    »Nein, Schwester.«
    Als er gegangen war, wurde die Luft schlagartig reiner und frischer. Dawn holte tief Luft und blies die Backen auf. Nun war auch das geschafft. Sollte Clive sich über den Sieg mit der Kette freuen. Sein Erscheinungsbild und seine Einstellung hatten sich verbessert, und nur darauf kam es an. Sie bezweifelte, dass er jemals wieder einen ihrer Patienten misshandeln würde. Dennoch würde sie ihn von nun an im Auge behalten. Entweder behandelte er die Patienten höflich und respektvoll, oder er verlor seinen Job. Es lag allein an ihm.

     
    Die Fenster standen offen, aber die Sonne brannte gnadenlos auf den Bus herab. Die drückende Hitze verfing sich zwischen den

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