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Die sanfte Hand des Todes

Die sanfte Hand des Todes

Titel: Die sanfte Hand des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbie Taylor
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deine Freundin Judy hat mich eingeschläfert mit ihrem Gequatsche über die beiden Antibiotika, die sie beinahe verwechselt hätte. Dawn, ich kann es nicht anders sagen, ich habe mich zu Tode gelangweilt.«
    Seine Aggressivität überraschte sie. »Aber es ging doch auch um andere Themen.«
    »Nein, ging es nicht. Und du bist die Allerschlimmste. Egal, wo wir sind und was wir tun, du bist ständig mit den Gedanken woanders und fragst dich, ob dieser Kerl noch Verstopfung hat oder jener alte Knacker, den du pflegst, überleben wird. Ein Teil von dir ist immer auf der Station. Du bist besessen, Dawn, glaub mir, das ist nicht normal.«
    Besessen ist ein starkes Wort , dachte Dawn. Aber sie versuchte, sich in ihn hineinzuversetzen. Menschen in Pflegeberufen sind für ihren Hang zur Fachsimpelei berüchtigt. Deswegen heiraten sie so oft untereinander – Außenstehende können mit den endlosen Krankenhausanekdoten nichts anfangen. »Also sagte ich mir, warum versuchen wir es nicht mal mit dem linken Nasenloch, und dann …« Sie musste allerdings zugeben, dass Kevin tatsächlich kaum über seinen Job als Kostenplaner redete. Also bemühte sie sich, nicht zu viel zu erzählen, die Arbeit in der Arbeit zu lassen und sich in seiner Gegenwart anderen Themen zuzuwenden. Abgesehen davon – und man konnte es kaum ein schwerwiegendes Problem nennen – lief es zwischen ihnen ganz gut.

    Nur manchmal, ganz selten, nagte etwas an ihr. Nichts, was sie einem Dritten gegenüber erwähnt hätte, denn dann hätte sie geklungen wie eine von diesen neurotischen Frauen, die sich ihr Leben wie ein Märchen vorstellen. Es war ihr auf dem Nachhauseweg aufgefallen, nachdem sie bei Judy eine kitschige Liebeskomödie auf DVD angesehen hatten. Während sie im grell erleuchteten Bus saß und ihr ernstes, ovales Gesicht in der Fensterscheibe betrachtete, dachte sie: Kevin sieht mich nie an.
    Natürlich sah er sie an. Er sah sie jedes Mal an, wenn er mit ihr redete, wenn sie sich in der engen Wohnung an ihm vorbeischob, ihm beim Essen etwas reichte, wenn sie las oder fernsah. Aber eigentlich sah er sie nicht. Er sah sie nicht wirklich an. Nicht so, wie der Held im Film seine Geliebte angesehen hatte.
    Dann meldete sich wieder ihr normales, vernünftiges Ich zu Wort. Das echte Leben war kein Liebesfilm. Männer verbrachten ihre Zeit nicht damit, ihrer Freundin in die Augen zu schauen – höchstens in den ersten paar Wochen. Sie und Kevin kamen gut miteinander aus, sie waren gute Freunde, kümmerten sich umeinander und unterstützten einander. Und nur darauf kam es in einer funktionierenden Langzeitbeziehung an.
    An einem warmen Freitagnachmittag im August kam sie früher von der Arbeit nach Hause, um Kevin zu überraschen. In der überfüllten U-Bahn war es über fünfunddreißig Grad heiß. Die Schwesternuniform klebte ihr an Rücken und Beinen und verursachte ihr Juckreiz. Was für eine Erleichterung, an der London Bridge auszusteigen und die kühle Brise auf der Haut zu spüren, die vom Fluss heraufwehte. Während der Fahrt hatte sie sich den Abend ausgemalt. Sie würde Kevin mit seinem Lieblingsessen empfangen, wenn er von der Arbeit kam. Er hatte recht gehabt;
in den letzten Monaten hatte sie ihn tatsächlich vernachlässigt. Sie hatte sich zwischen ihm und Dora aufgerieben, und Dora hatte gewonnen, weil sie diejenige war, die Dawns Hilfe mehr brauchte. Dawn hatte fast jeden Abend in der Crocus Road verbracht, und selbst wenn sie in London übernachtete, musste sie am nächsten Morgen früh aufstehen und zur Arbeit. Kevin kam abends in eine leere Wohnung, aß allein und verbrachte die Freitagabende allein, wenn alle anderen Pärchen zusammen ausgingen. Kein Wunder, dass er sich darüber beschwerte. Aber von nun an würde sie Schritt für Schritt zurückkommen. Ihrer Großmutter ging es schon viel besser. Sie kam wunderbar mit den Pflegerinnen zurecht, überstand die Nacht allein zu Haus, nur mit Milly an ihrer Seite. Das Schlimmste lag hinter ihr.
    Beschwingt lief Dawn die Treppe hinter der Southwark Cathedral zum Bauernmarkt hinunter. Sie mischte sich unter die Leute, die sich an den Karren mit Mangos und Tomaten vorbeischoben, an den aufgehängten Fasanen und Holzfässern voller Gewürze. Die schmalen Verkaufsbuden rochen nach Fisch und Käse, gegrilltem Fleisch und warmem, würzigem Brot. Dawn schlenderte von Stand zu Stand und besorgte die Zutaten für ein marokkanisches Buffet: frische Minze und Koriander, Fladenbrote, frisches

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