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Die sanfte Hand des Todes

Die sanfte Hand des Todes

Titel: Die sanfte Hand des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbie Taylor
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schwerkranken Menschen entgegen: Chlorhexidin, Pseudomonas, Vitamin B. Die meisten Patienten hier waren bewusstlos, ihre geschlossenen Augen wurden von Gelstreifen geschützt. Francine war dabei, mit zwei anderen Krankenschwestern einem Mann, der mindestens hundertdreißig Kilo wog, ein frisches Hemd anzuziehen. Eine Schwester war nur damit beschäftigt, alle Schläuche und Kabel in die Höhe zu heben und die Verbindungen zu sichern, während der Patient umgekleidet wurde.
    »Ich klaue nur schnell ein paar Paracetamol.« Dawn winkte Francine mit der Packung zu. »Ich bringe sie später zurück.«
    »Okay.« Francine richtete sich auf und legte sich den Arm über die Stirn. Sie sah müde aus, nicht so frisch und gepflegt wie sonst. Ihr Haarknoten hatte sich gelöst, und eine blonde Strähne hing ihr übers Ohr.
    »Kaffee?« Dawn hob fragend die Augenbrauen.
    »Geh schon mal vor. Ich komme gleich nach.«
    Dawn ging in die Teeküche der Intensivstation und machte Wasser heiß. Im Schrank über der Spüle fand sie Francines lila Becher mit dem Schriftzug »Beste Mutter der Welt«. Für sich selbst nahm sie einen weißen Becher heraus, an dessen Henkel ein Etikett mit dem Aufdruck »Besucher« baumelte.
Francine kam mit Haarnadeln im Mund herein und richtete sich ihren Knoten.
    »Viel zu tun heute?«, fragte Dawn.
    »Geht so«, murmelte Francine durch die Nadeln. »Vor ein paar Stunden sind drei Bauchschnitte gleichzeitig reingekommen, die haben uns auf Trab gehalten.« Als sie mit ihrer Frisur fertig war, nahm sie den lila Becher von Dawn entgegen. »Danke.« Sie lehnte sich an die Spüle, nippte an ihrem Kaffee und starrte gedankenverloren zu Boden.
    »Ist alles in Ordnung?«, fragte Dawn.
    Francine hob den Kopf und seufzte. »Ehrlich gesagt, nein. Vinnie hat schon wieder Ärger in der Firma. Die Inhaber haben sich anderswo übernommen, und nun drohen sie mit Entlassungen im großen Stil, um ihre eigene Haut zu retten.«
    »O nein, Fran!«
    »Es ist so ungerecht.« Die Fingerknöchel an Francines Hand traten weiß hervor. »Vinnie und die anderen haben sich jahrelang für die Firma eingesetzt, und das ist nun der Dank. Den Teilhabern wird nichts passieren; die werden einfach Konkurs anmelden, sich aus der Affäre ziehen und woanders unter einem anderen Namen eine neue Firma gründen. Ich habe neulich einen von ihnen gesehen, er ist die Streatham High Road in einem nagelneuen Mercedes entlanggerast. Wenn Blicke töten könnten, ich schwöre es dir, der alte Knacker wäre direkt in der Themse gelandet und untergegangen wie ein Stein.«
    Noch nie hatte Dawn ihre Freundin so wütend gesehen. Normalerweise erfüllte Francine alle Klischees der fröhlichen Krankenschwester, die selbst im größten Chaos die Ruhe bewahrt. Doch die Arbeitslosigkeit ihres Ehemanns traf sie zur falschen Zeit. Vinnie war Handwerker. Er und Francine hatten ein Haus abzubezahlen und zwei verwöhnte
Jungs im Teenageralter. Wie es aussah, war Dawn nicht der einzige Mensch mit Problemen.
    »Es geht mir schon besser«, erklärte sie nach einer Weile. »Allein das Jammern hilft. Aber bitte erzähl es nicht weiter, Dawn. Niemand weiß davon.«
    »Natürlich nicht.«
    Auf einmal grinste sie. »Na ja, Krankenschwester zu sein hat auch Vorteile, oder? Wenn’s allen gut geht, beklagen wir uns, dass keiner so wenig verdient wie wir, dabei ist unser Job absolut krisensicher. Und wenn es eng wird, kann man immer noch ein paar Extraschichten einlegen.«
    »Das stimmt. Falls ich irgendwas für dich tun kann …«
    »Ich weiß«, sagte Francine. »Danke, Dawn.«
     
    Am Nachmittag dauerte die Fahrt nach Silham Vale nur halb so lang. Um drei Uhr war Dawn schon wieder in der Crocus Road. Vor dem Haus Nummer 59 parkte ein roter Honda mit Schmutz an den Reifen. Neben dem Auto stand ein Mann, der die Straße beobachtete und die Arme hängen ließ, so als wüsste er nicht, wohin damit. Die linkische Körperhaltung war unverkennbar. Die Sonne spiegelte sich in seiner Brille, so dass sie statt seiner Augen nur zwei hellgelbe Rechtecke erkennen konnte. Sie wusste nicht genau, ob es ihn geheimnisvoll oder leicht debil wirken ließ.
    »Hallo!« Sie winkte, um ihn auf sich aufmerksam zu machen.
    Will drehte sich um.
    »Hallo.«
    Die gelben Rechtecke ließen sein Gesicht aussehen wie einen Mikrochip. Dawn hätte am liebsten gelacht, riss sich aber zusammen. »Schöner Tag, oder?«
    »Ja.«
    Will trug ein schlichtes grünes T-Shirt unter der dunkelblauen
Jacke. Wieder bemerkte

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