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Die sanfte Hand des Todes

Die sanfte Hand des Todes

Titel: Die sanfte Hand des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbie Taylor
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Grüßen,
    ein Gratulant
    Also gut. Also gut. Es war noch nicht vorbei. Sie hätte es wissen müssen. Dennoch war Dawn seltsam erleichtert. Das Geld war angekommen. Der »Gratulant« würde sie nicht anzeigen. Noch nicht.
    Auf dem Rückweg zum Krankenhaus fühlte sie sich leicht und unbeschwert, so als berührten ihre Füße den Asphalt kaum. Also gut. Es ging nicht um Geld. Es ging um Morphium. Vermutlich wollte er oder sie es verkaufen. Eigentlich sollte sie beunruhigt sein, immerhin stand sie wieder ganz am Anfang. Aber Dawn war zu verwirrt und zu erleichtert, um viel mehr wahrzunehmen als ihre Freude über die Gnadenfrist. Ein Gedanke, eine Frage huschte ihr durch den Kopf. Irgendetwas an der Mail war ihr seltsam vorgekommen, aber Dawn war zu beschäftigt, um länger darüber nachzudenken.
     
    Trudy erwartete sie am Eingang der Station.
    »Schwester! O Schwester, ich bin ja so froh, dass Sie wieder da sind!«
    Das leichte Gefühl verflog auf der Stelle. Was war passiert?

    »Was ist denn?«, fragte sie.
    »Es geht um die junge Frau in Bett acht. Sie hat am Mittag ihre Steroide genommen, aber dann hat sie alles wieder erbrochen.«
    Dawn atmete durch. Es war typisch für Trudy, aus einer Kleinigkeit ein Drama zu machen.
    »Keine Sorge«, sagte sie, »wir hängen sie an den Tropf.« In Gedanken war sie schon wieder bei der E-Mail. Im Lift fiel ihr ein, was ihr so seltsam erschienen war: zehn Ampullen Morphium. Das war wenig. Eine Ampulle kostete das Krankenhaus höchstens fünfzig Pence. Falls der Erpresser vorhatte, das Morphium zu verkaufen, konnte er sich auf eine Überraschung gefasst machen. Wer immer die Nachricht geschrieben hatte, wusste offenbar nicht viel über Morphium. Warum dann welches verlangen?
    Trudy trabte immer noch neben ihr her.
    »Das habe ich ihr auch gesagt, Schwester. Das mit dem Tropf. Aber sie hat sich furchtbar aufgeregt. Dr. Coulton war da und hat ihr gesagt, dass sie morgen operiert wird. Und als sie meinte, sie will aber nicht operiert werden, hat er gesagt, sie vergeude seine Zeit …«
    Dawn blieb stehen. »Wie bitte?«
    »Dass sie seine Zeit vergeude. Er hat gesagt, wenn sie ihm nicht zuhören wolle, gäbe es einen Haufen Patienten, die gern mit ihr tauschen würden.«
    »Ich verstehe.«
    »Sie ist jetzt im Waschraum«, fuhr Trudy fort. »Ich wollte sie begleiten, aber sie hat mich angeschrien, ich solle verschwinden. Schwester, ich glaube, sie ist wirklich krank. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, ich …«
    »Ist schon gut«, sagte Dawn, »ich werde mich um sie kümmern.«
    Sie verstaute Jacke und Handtasche im Büro. Sie kannte
die Patientin. Die sechsundzwanzigjährige Danielle Jones war Anwältin und hatte sich von Anfang an einen Ruf als schwierige Patientin erworben. Danielle, eine schlanke, hochgewachsene, attraktive Frau mit selbstbewusster, gewählter Ausdrucksweise, war es gewohnt, die Fäden in der Hand zu halten. Wahrscheinlich hatte sie es gerade deswegen umso härter getroffen, als vor einem Jahr der Morbus Crohn ihre Darmwände und ihr Leben zerfraß. Sie hatte sich gegen eine Operation gesträubt, weil sie bei der Arbeit nicht ausfallen und keine Narbe zurückbehalten wollte. Die Steroide, die sie nehmen musste, führten jedoch zu einer Gewichtszunahme, weswegen sie sie wieder abgesetzt hatte. Und nun verschlechterte sich ihr Zustand zusehends. Sie war zum vierten Mal binnen sechs Monaten im Krankenhaus, und bei jedem Aufenthalt wurde sie schwieriger. Sie beschimpfte die Mitarbeiter als faul, als unnützen Kostenfaktor. Die meisten versuchten, Danielle aus dem Weg zu gehen.
    Dawn klopfte an die Tür des Waschraums.
    »Danielle?«
    Keine Antwort. Dawn stieß die Tür auf. Der Raum hatte eine hohe Decke mit Leuchtstoffröhren. An der einen Seite befanden sich vier graue Toilettenkabinen, an der anderen vier schmutzig weiße Waschbecken. Wände und Fußboden waren mit winzigen Kacheln gefliest, in deren Fugen der Dreck der Jahre saß.
    »Danielle?« Dawns Stimme hallte von den Wänden wider. Es stank nach Erbrochenem und nach Fäkalien. Vor der vierten Toilettenkabine hatte sich eine grünliche Pfütze gebildet. Unter der halb geschlossenen Tür war ein Fuß zu sehen.
    »Gehen Sie weg«, sagte eine zittrige Stimme hinter der Tür.
    »Ich bin es, Dawn. Die Oberschwester.«
    »Ich habe gesagt, Sie sollen gehen.«
    Dawn näherte sich vorsichtig. Der Geruch wurde immer
penetranter. In die grünliche Pfütze hatte sich Blut gemischt. Danielle kauerte in der letzten

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