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Die sanfte Hand des Todes

Die sanfte Hand des Todes

Titel: Die sanfte Hand des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbie Taylor
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hauen. Am Ende glaubte Dr. Coulton tatsächlich, er könne mit zehn Ampullen Morphium ein Vermögen verdienen, wenn er sie in einer dunklen Gasse in Brixton zum Verkauf anbot.

    Aber vorläufig würde sie die Wahrheit nicht erfahren, und plötzlich überkam sie eine neue Entschlossenheit. Wer immer der »Gratulant« auch war, sie würde seine schmutzigen Spielchen nicht länger mitspielen. Ja, es wäre nicht einfach, an das Morphium zu kommen, aber der Erpresser hatte recht: Sie würde einen Weg finden. Die Menge war so gering, dass ihr Fehlen kaum auffiele. Keinem Patienten würde daraus ein Nachteil entstehen, wohl aber dem »Gratulanten« selbst. Denn Geld zu verlangen war das eine gewesen; falls sie wegen Mordes belangt wurde, wäre die Erpressung für die Polizei möglicherweise nur ein Nebenschauplatz. Doch Medikamente aus einem Krankenhaus zu stehlen … Die Gesundheitsbehörde würde alles daransetzen, die Beteiligten ausfindig zu machen. Und dann könnte Dawn jede Menge Beweise vorlegen: die E-Mail mit der Morphiumforderung und die Deckadresse in Essex, die die Polizei auf die Spur des »Gratulanten« bringen würde.
    Gestank stieg aus der Plastiktüte auf. Dawn zog die Nase kraus. Sie arbeitete seit fast zwanzig Jahren im St. Iberius, Dr. Coulton hingegen erst seit wenigen Wochen. Was bildete er sich ein, sie unter Druck zu setzen und ihre Ersparnisse zu stehlen? Er war ein gemeiner Dieb. Sie verdrehte die Plastiktüte, um den ekelhaften Geruch drinzuhalten.
    »Wenn ich untergehe«, sagte sie mit finsterer Miene, »nehme ich dich mit!«

Kapitel 12
    Obwohl sie in der Nacht kaum ein Auge zugetan hatte, wusste Dawn auch am nächsten Morgen noch nicht, wie sie das Morphium stehlen sollte.
    Im Prinzip war es ganz einfach. Auf der Station gab es jede Menge Morphium; es wurde im Lagerraum aufbewahrt. Das Problem war nur, es in die Finger zu kriegen. Wann immer der Tresor geöffnet wurde, mussten mindestens zwei Pflegekräfte anwesend sein. Dawn überlegte, den Schlüssel an sich zu nehmen. Dann könnte sie in einem unbeobachteten Moment in den Lagerraum schleichen und eine Packung mitgehen lassen. Doch normalerweise befand sich der Schlüssel nie im Besitz der Oberschwester. Und sie würde sich doppelt verdächtig machen, wenn das Morphium ausgerechnet an dem Tag verschwand, an dem sie sich um den Schlüssel bemüht hatte.
    Aber vorerst bestand kein Grund zur Panik. Ihr würde schon noch eine Lösung einfallen, nur unendlich viel Zeit blieb ihr nicht. Heute war Mittwoch, und sie hatte ihre letzte Tagschicht vor dem Urlaub. Vielleicht würde sich im Lauf der Nachtschicht eine günstige Gelegenheit ergeben. Nachts wurden die Notfälle eingeliefert, und vielleicht hätte sie die Möglichkeit, den Schlüssel an sich zu nehmen und in den Lagerraum zu schleichen, wenn alle anderen abgelenkt waren. Darauf setzen konnte sie natürlich nicht.
    Zu ihrer Überraschung stellte Dawn fest, dass es ihr leichter fiel, sich auf die anstehenden Aufgaben zu konzentrieren,
weil sie sich nicht mehr beobachtet fühlte. Sie hatte ihre Station wieder für sich, und das war ein gutes Gefühl. Sie konnte immer noch nicht mit Sicherheit ausschließen, dass eine ihrer Kolleginnen hinter der Erpressung steckte; aber da sie es keiner der Frauen so recht zutraute und sich unzählige neue Möglichkeiten aufgetan hatten, schien es nur vernünftig, die Schwestern von der Verdächtigenliste zu streichen. Dawn verfügte über eine gewisse Menschenkenntnis. Nach acht Jahren auf ein und derselben Station konnte sie die Menschen schnell durchschauen. Kam eine neue Schwester auf die Station, wusste Dawn nach wenigen Minuten, ob sie sich geschickt anstellen oder nur Mittelmaß sein würde, und oft verrieten ihr Patienten, die zu verschüchtert oder nicht in der Lage waren, sich zu artikulieren, ihre Bedürfnisse über Körpersprache und Mimik. Ein ums andere Mal hatte sich Dawns Intuition als richtig herausgestellt.
    Sie stand hinter dem Tresen und überblickte die Station. Mandy wusch an Bett sechs einer älteren Patientin mit Leberabszess die Haare. Die Frau hielt die Augen geschlossen und genoss das Gefühl des warmen Wassers auf ihrer Kopfhaut. Mandy summte leise vor sich hin, während sie das Shampoo ausspülte. Dawn beobachtete sie und dachte: Ich habe immer gewusst, du bist es nicht.
    Mandy war viel zu sanftmütig, um jemanden zu erpressen. Außerdem wäre sie überfordert damit, falsche Mail- und Postadressen anzulegen und gleichzeitig das

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