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Die sanfte Hand des Todes

Die sanfte Hand des Todes

Titel: Die sanfte Hand des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbie Taylor
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Als Mandy vom Waschbecken zurückkam, ein Pflaster um den Zeigefinger, hatte Dawn die Ampulle schon geöffnet und das Morphium aufgezogen.
    »Oh, danke«, sagte Mandy. »Sie bewahren mich davor, mir weitere Finger abzusäbeln. Wie viele sind noch da?«
    »Wir haben zwei verbraucht«, antwortete Dawn. »Diese und die zerbrochene. In der obersten Schachtel sind noch vier.« Sie schwieg.
    »Und in den anderen jeweils zehn«, fügte Mandy hinzu.
    Dawn schwieg. Das Personal war angehalten, alle Kartons zu überprüfen, nicht nur den obersten. Falls Mandy die anderen öffnete … Aber sie tat es nicht. Sie zog einen Kuli heraus und trug die Zahl in das Buch mit den rosa Seiten ein.
    »Insgesamt vierundvierzig«, sagte sie.
    Am liebsten hätte Dawn sie umarmt. Die nachlässige, unbekümmerte, arglose Mandy. Mandy klappte das Buch zu und legte es in den Schrank. Sie schloss die Tür und ließ das Vorhängeschloss einrasten.
    »Hier ist die Spritze für Danielle.« Dawn hielt sie in die Höhe und betete, dass Mandys Fingerverletzung sie nicht davon abhielt, die Spritze entgegenzunehmen. Mandy musste aus dem Lagerraum verschwinden. Dawn konnte sich erst wieder bewegen, wenn Mandy gegangen war; sie stand so reglos wie möglich da und drückte eine Hand auf ihre ausgebeulte Tasche. Dass die Ampullen klirrten, hätte gerade noch gefehlt – oder, noch schlimmer, dass eine herausfiel und auf dem Fußboden zerplatzte.
    Zum Glück nahm Mandy die Spritze entgegen.
    »Die werde ich Miss Rechtsanwältin verpassen«, sagte sie, »und dann haben wir unsere Ruhe.«
    Sie verließ den Raum, wobei sie an ihrem Pflaster herumzupfte. Dawn verharrte in derselben steifen Körperhaltung
und hielt die Ausbuchtung in ihrer Uniform fest umklammert, bis Mandys Schritte und das Klappern ihres Schlüsselbundes nicht mehr zu hören waren.
     
    Die Ampullen waren voluminöser als die Geldscheine. Dawn würde einen größeren Umschlag mit einer Art Polsterung brauchen, damit das Glas nicht brach. In der kleinen Post, die sich in der einzigen Ladenzeile von Silham Vale befand, besorgte sie sich einen DIN-A3-Umschlag mit Blisterfolie und dazu eine Menge Briefmarken – mehr als benötigt vermutlich, aber sie wollte kein Risiko eingehen.
    Als sie über das Flickwerk aus Asphalt in der Crocus Road lief, vorbei an parkenden Autos, deren Windschutzscheiben in der Sonne glänzten, fühlte sie sich überlegen, so als hätte sie alles im Griff. Sie hatte es geschafft. Sie war im Besitz des Morphiums! Sobald sie es abschickte, hatte sie den Erpresser in der Hand. Zum x-ten Mal dachte sie: Gott sei Dank ist Mandy so schludrig . Eine gewissenhaftere Krankenschwester hätte womöglich darauf bestanden, jede einzelne Schachtel zu öffnen. Wie lange würde es dauern, bis das Fehlen der Ampullen bemerkt würde? Zwischen einem Tag und mehreren Wochen. Es kam ganz darauf an, ob sich tatsächlich jemand die Mühe machte, alle Schachteln zu kontrollieren. Andernfalls käme der Diebstahl erst ans Tageslicht, wenn alle Ampullen aufgebraucht waren und die letzte Schachtel geöffnet wurde.
    Und da traf es sie wie ein Schlag.
    Falls derjenige, der heute Abend den Schlüssel von Mandy übernahm, die Ampullen nachzählte, würde man Mandy die Schuld geben. Sie hatte den Schlüssel zuletzt gehabt. Die Klinikapotheke würde einen Riesenaufstand machen. Eine zufällig verloren gegangene Ampulle reichte, und es gab Konferenzen, Erklärungen, Untersuchungen. Und jetzt
fehlten zehn! Vorsätzlich aus der Packung genommen, die fein säuberlich verschlossen und wieder unter den Stapel geschoben worden war. Eindeutig handelte es sich um einen Täuschungsversuch. Mandy würde zum Opfer einer umfassenden Untersuchung, und alle würden mit dem Finger auf sie zeigen. Wann ist es passiert? Wann haben Sie die Ampullen zuletzt gezählt? Man würde sie mindestens vor einen Kontrollausschuss zerren und ihr Fahrlässigkeit vorwerfen. Im schlimmsten Fall würde man sie des Diebstahls bezichtigen.
    Dawn ließ sich auf das nächstbeste Mäuerchen sinken. Mist, Mist, Mist. Und nun?
    Mandy war vielleicht nicht die beste Krankenschwester, mit der Dawn je zusammengearbeitet hatte, aber genauso wenig war sie die schlechteste. Die Patienten mochten sie und vertrauten ihr, und sie interessierte sich aufrichtig für das Schicksal der Kranken. Mandy vergaß vielleicht manchmal, eine Temperatur in die Kurve einzutragen, aber dafür stand sie zwanzig Minuten lang neben dem Bett einer Patientin, um über untreue

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