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Die sanfte Hand des Todes

Die sanfte Hand des Todes

Titel: Die sanfte Hand des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbie Taylor
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einem liebenswerten Menschen an einem belebten, fröhlichen Ort. Genieß es , sagte sie sich. Wozu sollte sie sich Gedanken machen? Sie konnte nichts tun als abwarten. Heute Abend saß sie mit einem netten Mann zusammen, der sich über ihre Anwesenheit freute. Sie sollte das Beste daraus machen. Als der Kellner das nächste Mal an ihrem Tisch vorbeikam, bestellte sie ein drittes Glas Wein.
    »Guter Jahrgang?«, fragte Will.
    »Keine Ahnung.« Sie lächelte ihn an. »Ich mag den Geschmack. Man kann nicht immer nur vernünftig sein, oder?«
    »Nein.« Will lächelte ebenfalls. Er hatte seine Anzugjacke ausgezogen. Der dünne weiße Stoff seines Hemds spannte sich über seinen breiten Schultern. Wie schaffte er es, so gut in Form zu bleiben? Immerhin lebte er in der Großstadt und saß den ganzen Tag vor dem Rechner.

    »Treibst du Sport?«, fragte sie.
    »Nein.«
    Sie nahm einen großen Schluck Wein. »Ich hätt’s dir abgekauft.«
    Will lachte und warf ihr über die Kerze hinweg einen leicht verwirrten Blick zu. Er spielte mit seinem Wasserglas, drehte es wieder und wieder auf der Tischdecke. Seine Fingernägel waren extrem kurz geschnitten. Dawn erinnerte sich daran, wie breit sein Brustkorb an dem Tag in Sussex gewirkt hatte. An seine große, muskulöse Gestalt und wie dicht sie vor ihm gestanden hatte, draußen vor dem Ausflugslokal. Völlig unvermittelt dachte sie: Ich frage mich, wie es sich angefühlt hätte, wenn er mich geküsst hätte.
    »Wie wär’s mit einem Schlummertrunk?«, fragte sie ihn nach dem Essen. »Geht auf mich.« Sie wollte noch nicht den langen Nachhauseweg antreten. Außerdem hatte Will das Essen bezahlt. Sie war ihm einen Gefallen schuldig.
    »Warum nicht? Du sagst, wo’s langgeht.«
    Sie liefen in westlicher Richtung am Ufer entlang und hielten nach einer Bar Ausschau. Die Promenade hatte sich geleert, die lebenden Statuen und die Stände mit antiquarischen Büchern waren verschwunden, die Touristenmenge hatte sich zerstreut. Das blaue Leuchten in den Bäumen ließ die leeren Bänke darunter seltsam melancholisch erscheinen. An der Westminster Bridge spiegelten sich die Houses of Parliament in der Themse, so dass es aussah, als wären die Gebäude ein aufgeschlagenes Buch; die eine Seite stand senkrecht, die andere lag als zitterndes Blatt mit verschnörkelter Schrift im Wasser. Sie hatten immer noch keine Bar gefunden.
    »Viertel nach elf«, stellte Will fest und schaute zum Spinnwebgesicht von Big Ben hinauf. »Wir kämen zur letzten Runde ohnehin zu spät.«

    Dawn war enttäuscht. »Immerhin erwischen wir unsere Züge noch.«
    »Unseren Zug«, korrigierte Will sie. »Ich fahre mit demselben wie du, bis Streatham.«
    Der Waggon war hell erleuchtet, voll und lärmend. Will legte sich das Sakko über den Arm und setzte sich neben Dawn. Gegenüber von ihnen schlief ein junger Mann im Trainingsanzug mit offenem Mund, den Kopf an die Schulter seiner Freundin gelehnt. Als der Zug in die Kurve ging, berührte Dawn Wills Arm. Das Gefühl der Wärme ließ sie zusammenzucken, aber Will schien nichts zu bemerken. Er war damit beschäftigt, die Digitalanzeige über der Tür zu studieren. An der Streatham Common Station öffneten sich die Türen mit lautem Klappern. Will rührte sich nicht. Dawn sah ihn an, aber er war ganz in ein Poster an der gegenüberliegenden Wand vertieft, auf dem die Maßnahmen im Katastrophenfall erläutert wurden. Er schien gar nicht bemerkt zu haben, dass der Zug an seiner Haltestelle stand. Sie sollte ihn darauf aufmerksam machen, andernfalls würde er die Station verpassen. Sie sollte ihm sagen, wo sie waren. Aber Dawn schwieg. Die Türen schlossen sich, und der Zug setzte sich wieder in Bewegung.
    In der Crocus Road hatte Dawn Schwierigkeiten, das Schlüsselloch zu finden.
    »Ups«, sagte sie, »der Schlüssel hakt ein bisschen.«
    In der Küche ein Scharren. Milly kam neugierig in den Flur gewankt. Sie lief direkt auf Will zu und beschnupperte eifrig seine Schuhe: Wer ist das? Wer ist das?
    »Hey.« Dawn kniete nieder, um sie zu streicheln. »Du siehst schon viel besser aus. Sie hatte heute einen bösen Arthritisschub«, erklärte sie Will.
    »Die Ärmste.« Will beugte sich herunter und kraulte Milly zwischen den Ohren. Milly legte den Kopf schief, ließ die
Zunge heraushängen und fing zu hecheln an, während sie heftig mit dem Schwanz wedelte.
    »Kaffee?«, fragte Dawn. »Ich habe zwei sehr gute Sorten da. Guatemala oder Paraguay?«
    »Ich würde den Unterschied

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