Die sanfte Hand des Todes
nicht erkennen«, sagte Will. »Ich trinke immer nur Instantkaffee.«
»Was? Wirklich?«
»Ja. Ich rieche den echten sehr gern, aber die Zubereitung erscheint mir zu aufwendig.«
»Tja.« Dawn stemmte die Hände in die Hüften. Das Telefontischchen und die Treppe fingen an, sich im Gleichtakt mit Millys Schwanz zu drehen. »Dann hast du was verpasst. Komm mit. Meine Guatemala-Mischung ist ein wunderbarer Einstieg.«
In der Küche durchwühlte sie alle Schränke auf der Suche nach Kaffeekanne und Pulver. Wo befanden sich die Filter? O ja – in der Kramschublade neben dem Waschbecken, gleich neben einem grünen Stoffbeutel mit aufgedrucktem Kreuz. Dawn wunderte sich einen Moment lang, bis ihr einfiel, worum es sich handelte: das tragbare Wiederbelebungsset, das sie im Auftrag des Krankenhauses testen sollte. Sie hatte es komplett vergessen. In letzter Zeit war ihr gesamtes Leben in Schieflage geraten und ein Teil ihrer Arbeit einfach auf der Strecke geblieben.
Dawn schob die Schublade zu und versuchte, den Kaffeefilter zu öffnen.
»Irgendwie klappt es nicht«, sagte sie nach einer Minute. »Der Filter klebt zusammen.«
»Kann ich helfen?« Will stand dicht neben ihr.
»Es liegt am Papier.« Dawn zupfte daran herum. »Es ist so dünn und geht sofort kaputt, wenn man …« Sie zupfte noch einmal daran herum. Will stand neben ihr.
»Soll ich es mal versuchen?«, fragte er.
Er befand sich so dicht vor ihr, dass sie sein Aftershave und einen Hauch von Knoblauch und Alkohol in seinem Atem riechen konnte. Sie fummelte an dem Papier herum, aber vergebens. Sie ließ den Kaffeefilter sinken.
»Ehrlich gesagt«, erklärte sie, »weiß ich gar nicht, ob ich Kaffeedurst habe.«
»Ich auch nicht«, meinte Will sanft.
Er stand jetzt direkt hinter ihr. Dawn drehte sich um. Ihre Blicke begegneten sich. Da war es wieder, das magnetische Gefühl; als wäre sie ein Blatt, das sich der Sonne entgegenreckt. Dawn wehrte sich nicht, und ihre Lippen berührten die von Will. Sie schloss die Augen. Will war so groß. Das gefiel ihr. Sie mochte es, dass er so stabil wirkte. An ihn konnte man sich anlehnen. Sie schlang die Arme um seinen Nacken und zog ihn herunter. Er umfasste ihre Taille, und für einen kurzen Moment spürte sie den Druck. Dann ein Loslassen, eine Leere, als er sich wieder zurückzog.
Verwirrt öffnete Dawn die Augen. Will sah sie mit leicht amüsierter Miene an, so wie eben im Restaurant.
»Was ist denn?«, fragte sie.
»Ich weiß auch nicht.«
Tja dann … Sie wollte ihn erneut küssen, aber er legte seine Hände auf ihre Arme, ganz sanft, als wollte er sie von sich schieben.
»Ich muss dir etwas sagen«, erklärte er.
»Was denn?«
Will schaute zur Seite. »So was wie das hier«, sagte er, »habe ich mir lange nicht vorstellen können. Etwas von Bedeutung. Ich war … zu keinem Gefühl mehr fähig.«
»Wegen Kate?«
»Ja. Aber in letzter Zeit – jetzt – hat sich das geändert.«
Dawn wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Dann küssten sie sich wieder. Sanfter diesmal, weniger hektisch,
dafür inniger. Dawn konnte ihren eigenen Atem hören. Sie sollte mit ihm reden, ihm etwas gestehen, aber sie hatte vergessen, was es war; es pikste sie wie eine Nadel. Aber sie war ganz auf das flaue Gefühl im Magen konzentriert. Es war, als säße sie in einem Auto, das zu schnell durch eine Senke fuhr.
»Komm mit nach oben«, flüsterte sie.
Sie machten sich nicht die Mühe, das Licht auszuschalten, setzten sich aufs Bett, und Will zog ihr das Glitzertop aus. Jetzt war sie nackt, schutzlos, keine leitende Angestellte in Uniform mehr, die anderen Anweisungen erteilte. Sie musste nach Luft schnappen. Gleichzeitig machte das Gefühl sie nervös. Zum letzten Mal hatte sie sich vor Kevin ausgezogen, und das war drei Jahre her. Sie mochte ein paar Kilo abgenommen haben, aber trotzdem hatte sie sich seither verändert, und zwar nicht unbedingt zum Positiven.
»Du bist wunderschön.« Will sah sie bewundernd an.
»Nein, das stimmt nicht.« Sie lachte. »Ich bin zu dick. Zu … direkt.«
»Du bist wunderschön«, wiederholte Will. Er strich ihr über die Schulter, fast ohne ihre Haut zu berühren. »Wenn ich dich sehe, denke ich … an eine stattliche, große Frau in einer langen Robe. Sie hält eine Lampe in der Hand und kennt den Weg.«
Sie küssten sich, ließen sich aufs Bett sinken. Aber selbst als Dawn sich hingab, spürte sie wieder diesen Impuls, auf Abstand zu gehen. Eine Frau mit einer
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