Die sanfte Hand des Todes
Lampe. Sie hatte die Anspielung sehr wohl verstanden. Will hätte genauso gut sagen können, dass sie ihn an Florence Nightingale erinnerte. Er idealisierte sie, hielt sie für eine selbstlose Heldin. Und auf einmal war die Stimmung dahin. Das konnte sie sich nicht antun. Und ihm auch nicht. Sie drehte den Kopf zur Seite.
»Tut mir leid.«
»Was ist denn?«
»Ich kann das nicht.« Sie versteifte sich, machte sich von ihm los. »Tut mir leid.«
»Ist schon okay …«
»Nein, es ist überhaupt nicht okay … Du hast nichts falsch gemacht. Es ist bloß …« Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie konnte es ihm nicht erklären.
»Ist schon gut«, wiederholte Will. Er war von ihr heruntergerollt und lag auf der Seite, mit dem Rücken zu ihr. Er atmete schneller als sonst. Seine Hand lag reglos auf dem Laken. Dawn ergriff sie. Will drückte sie kurz, ohne sich umzudrehen, dann zog er die Hand weg. Dawn hasste sich für alles, was sie ihm antat. Der schöne Abend war gekippt, hatte ein ungutes Ende genommen, und sie konnte ihm nicht einmal beichten, warum.
Sie blieb reglos liegen. Sie wollte es nicht noch schlimmer machen. Will schwieg. Draußen vor dem Haus heulte ein Motor auf. Eine Tür wurde zugeschlagen, jemand lachte.
»Bis morgen früh!«
»Na, eher morgen Nachmittag!«
Noch mehr Gelächter. Der Motor heulte abermals auf, und das Auto fuhr davon. Dann wurde es wieder still. Wills Atmung hatte sich normalisiert. Erst als sie glaubte, er sei eingeschlafen, wagte Dawn sich zu bewegen. Sie zog den Arm unter seinem Kopf weg und versuchte eine Stellung zu finden, in der sie einschlafen konnte. Will rührte sich. Er drehte sich zu ihr um. Im milchigen Licht der Straßenlaterne konnte sie undeutlich sein Profil erkennen. Sie fragte sich, ob er versuchen würde, sie zu küssen, und wollte etwas sagen. Aber er machte keine Anstalten, sie zu küssen, nahm stattdessen ihr Gesicht zwischen seine Hände, ganz sanft, einfach so.
Das Gefühl war seltsam. So zärtlich. So hatte sie seit ihrer Kindheit nie jemand berührt, nicht einmal Kevin. Für
gewöhnlich war sie diejenige, die andere umsorgte und beschützte.
Will lag im Dunkeln und begann zu sprechen.
»Irgendwas stimmt nicht. Was ist passiert?«
Dawn wusste nicht, was sie antworten sollte.
»Steckst du in Schwierigkeiten?«, fragte er. »Willst du mir sagen, worum es geht?«
Seine gütige Stimme. Dawn sehnte sich danach, ihm alles zu erzählen. Nicht nur, weil er mit ihr mitfühlte und ihr Gesicht berührte. Will war intelligent, wahrscheinlich der intelligenteste Mensch, den sie kannte. Er war es gewohnt, logisch zu denken. Falls irgendjemand einen Ausweg aus ihrem Dilemma wusste, dann er.
Aber es ging nicht. Sie konnte es ihm nicht sagen. Wenn er erfuhr, was sie getan hatte … Er bewunderte sie. Ganz zweifellos würde er das Bild, das er sich von ihr gemacht hatte, ändern müssen. Selbst wenn er ihr half, wenn er eine Lösung fand, würde er danach nichts mehr mit ihr zu tun haben wollen. Als sie so dalag und seine Hände an ihren Wangen spürte, wusste sie, dass sie es nicht ertragen könnte, seine Bewunderung zu verlieren.
»Nein«, sagte sie, »alles ist in Ordnung.«
Später, als er eingeschlafen war, lag sie neben ihm und starrte mit weit aufgerissenen Augen in die Dunkelheit. Will durfte es nicht erfahren. Niemand durfte es erfahren, um keinen Preis.
Sie hatte eine Idee. Dr. Coulton würde das St. Iberius bald verlassen. Die Assistenzärzte bekamen nur befristete Verträge und hielten sich im seltensten Fall länger als ein paar Monate im Krankenhaus auf. In wenigen Wochen würde er weg sein. Er konnte sie zu nichts mehr zwingen. Und wenn er das Umfeld gewechselt und die neue Stelle angetreten hatte, würde er sie vielleicht komplett vergessen. Das Ende
war abzusehen. Ganz bestimmt. Sie musste nur geduldig sein.
Ihre Schläfen pochten immer noch da, wo Will sie berührt hatte. Sie hätte ihm alles erzählen, hätte reinen Tisch machen sollen. Aber diese Erkenntnis kam wie immer zu spät.
Kapitel 14
Sie wurde durch ein anhaltendes Brummen unter dem Schlafzimmerfenster geweckt. Der Rasenmäher von Nummer 62. Vermutlich war Eileen Warrens Neffe vorbeigekommen, um das Gras zu mähen. Dawn strich sich das Haar aus dem Gesicht. Die Gänseblümchen auf der Tapete leuchteten. Auf dem Wecker war es zwanzig nach zehn. Dawn setzte sich auf. Die arme Milly musste schon mit zusammengekniffenen Beinen an der Hintertür stehen.
Wills Kissen lag
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