Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
Vom Netzwerk:
Linsen, Reis, bittere Kürbisse, Chilis, Auberginen und anderes Gemüse häuften sich neben dem Panchayat-Ast. Die Last des Proviants würde unter allen Pilgern gleichmäßig verteilt werden.
    Auch Kochgeschirr wurde gesammelt und alles Bettzeug, das sich finden ließ. Lasttiere wollte man mitnehmen und ein paar Karren mit lebenden Hühnern und dergleichen, aber im allgemeinen folgten die Pilger der Anweisung des Sarpanch, ihr persönliches Reisegepäck auf ein Minimum zu beschränken.
    Die Vorbereitungen waren vor Morgengrauen angelaufen und daher zu dem Zeitpunkt, als ein erzürnter Mirza Said ins Dorf stürmte, schon weit fortgeschritten. Eine Dreiviertelstunde lang verzögerte der Zamindar den Fortgang, indem er zornige Reden schwang und einzelne Dörfler an den Schultern packte und schüttelte, aber dann gab er zum Glück auf und ging, so dass die Arbeit mit der früheren Schnelligkeit fortgesetzt werden konnte.
    Als der Mirza das Dorf verließ, schlug er sich mehrmals gegen den Kopf und verfluchte die Leute unter anderem als Bekloppte und Einfaltspinsel und dergleichen mehr, aber er war schon immer ein gottloser Mensch gewesen, der schwache Letzte eines starken Geschlechts, und er musste in Ruhe gelassen werden, um sein eigenes Schicksal zu finden; mit Männern wie ihm war nicht gut streiten.
    Bei Sonnenuntergang waren die Dörfler abreisebereit, und der Sarpanch forderte alle auf, sich in den frühen Morgenstunden zum Gebet zu erheben, so dass sie direkt danach aufbrechen und somit der schlimmsten Hitze des Tages entgehen konnten. Als er sich in dieser Nacht auf seine Matte neben die alte Khadija gelegt hatte, murmelte er: »Endlich. Ich wollte schon immer die Kaaba sehen und sie umrunden, bevor ich sterbe.« Und sie griff von ihrer Matte aus nach seiner Hand.
    »Auch ich habe es erhofft, gegen jede Hoffnung«, sagte sie.
    »Wir werden gemeinsam durch die Wasser gehen.«
    Mirza Said, den der Anblick des packenden Dorfes in ohnmächtige Wut versetzt hatte, stürmte, ohne Umstände zu machen, in die Gemächer seiner Frau. »Du solltest mal sehen, was da los ist, Mishu«, rief er, wild mit den Armen fuchtelnd.
    »Ganz Titlipur hat den Vers tand verloren und will zum Meer wandern. Was soll mit den Häusern passieren, mit den Feldern? Das bedeutet den Ruin. Dahinter stecken bestimmt politische Agitatoren. Irgendwer hat irgendwen bestochen.
    Glaubst du, dass sie hierbleiben und sich wie vernünftige Menschen verhalten werden, wenn ich ihnen Geld anbiete?«
    Seine Stimme versiegte. Aischa war im Zimmer.
    »Du Mistweib«, verfluchte er sie. Sie saß mit gekreuzten Beinen auf dem Bett, während Mishal und ihre Mutter auf dem Boden hockten, ihre Habseligkeiten durchsahen und ausrechneten, mit wie wenig sie auf der Pilgerfahrt auskommen konnten.
    »Du wirst nicht gehen«, tobte Mirza Said. »Ich verbiete es dir, der Teufel allein weiß, mit welchem Bazillus diese Hure die Dorfbewohner angesteckt hat, aber du bist meine Frau, und ich weigere mich, dich bei diesem selbstmörderischen Unternehmen mitmachen zu lassen.«
    »Schöne Worte«, lachte Mishal bitter. »Was für schöne Worte du gewählt hast, Said. Du weißt, dass ich nicht leben kann, aber du sprichst von Selbstmord. Said, hier geht etwas vor sich, und du mit deinem importierten europäischen Atheismus weißt nicht, was es ist. Oder vielleicht wüsstest du’s, wenn du einmal unter deinen englischen Anzugsstoffen nachsehen und versuchen würdest, dein Herz zu finden.«
    »Es ist unglaublich«, schrie Said. »Mishal, Mishu, bist du das? Ganz plötzlich hast du dich in eine gottgläubige Gestalt aus grauer Vorzeit verwandelt?«
    Mrs. Qureishi sagte: »Geh, mein Sohn. Hier ist kein Platz für Ungläubige. Der Engel hat Aischa gesagt, wenn Mishal die Pilgerreise nach Mekka vollendet, wird ihr Krebs verschwunden sein. Alles wird verlangt, und alles wird gegeben werden.«
    Mirza Said Akhtar legte seine Hände an eine Wand des Schlafzimmers und presste die Stirn gegen den Verputz. Nach einer langen Pause sagte er: »Wenn es darum geht, Umra zu vollziehen, dann lasse uns um Himmels willen in die Stadt fahren und ins nächste Flugzeug steigen. In ein paar Tagen können wir in Mekka sein.«
    Mishal antwortete: »Es ist uns befohlen, zu Fuß zu gehen.«
    Said verlor die Beherrschung. »Mishal? Mishal?« kreischte er.
    »Befohlen? Erzengel, Mishu? Gibril? Gott mit weißem Bart und Engel mit Flügeln? Himmel und Hölle, Mishal? Der Teufel mit einem spitzen Schwanz und

Weitere Kostenlose Bücher