Die Satanischen Verse
ihr merkwürdig dreieckiges Profil, das in einer schrägen Linie von der Stirn zur Nasenspitze abfiel und von dort in einer ununterbrochenen Linie zum Hals führte. Er sah in dem gelben Licht, dass ihre Haut mit jeder Minute dunk ler wurde und ihre Zähne weiter hervorstanden und ihr Körper so lang war wie die Strich männchenzeichnung eines Kindes. Gleichzeitig warf sie ihm Blicke von immer eindeutigerer Lüsternheit zu und griff mit so knochigen und gierigen Fingern nach ihm, dass ihm war, als wollte ein Skelett ihn in ein Grab hinabziehen; in ihrem Atem, auf ihren Lippen roch er den widerlichen Geruch frisch ausgehobener Erde… Ekel packte ihn. Wie konnte er sie jemals anziehend gefunden, ja begehrt haben, sogar, während sie rittlings auf ihm saß und Flüssigkeit aus seiner Lunge presste , soweit gegangen sein, sich vorzustellen, sie seien ein Liebespaar mitten in der leidenschaftlichsten Vereinigung?…
Die Stadt um sie herum wurde dicht wie ein Wald, die Gebäude drängten sich aneinander und wuchsen so verfilzt wie ihr Haar.
»Hierher fällt kein Licht«, flüsterte sie ihm zu. »Alles ist schwarz, ganz schwarz.« Sie machte Anstalten, sich hinzulegen und ihn zu sich herabziehen, auf die Erde, doch er rief »Die Kirche, schnell!« und stürzte, mehr als nur eine Art von Refugium suchend, in ein schmuckloses, kastenförmiges Bauwerk. Im Innern jedoch saßen auf den Bänken lauter Hyacinthen, junge und alte, Hyacinthen, die unförmige blaue Kostüme trugen, falsche Perlen und kleine Pillboxhüte mit Schleier, Hyacinthen, die jungfräulich-weiße Nachthemden trugen, jede erdenkliche Art Hyacinthe, alle sangen laut »Sieh mich an, Jesus«, bis sie Chamcha erblickten, mit ihrem Gesang aufhörten und »Satan, der Bock, der Bock« und dergleichen unfromme Sachen zu schreien begannen. Jetzt zeigte sich, dass die Hyacinth, mit der er gekommen war, ihn mit anderen Augen betrachtete, genauso wie er sie auf der Straße angesehen hatte, dass auch sie jetzt etwas sah, was sie einigermaßen abstieß; und als er den Ekel auf diesem abscheulich spitzen und düsteren Gesicht sah, tat er sich keinen Zwang mehr an.
»Hubshees«, verfluchte er sie, aus irgendeinem Grund in seiner abgelegten Muttersprache. Unruhestifterinnen und Wilde nannte er sie. »Ihr könnt mir leid tun«, rief er. »Jeden Morgen müsst ihr in den Spiegel gucken, aus dem euch die Finsternis anstarrt: die Schandmale, der Beweis, dass ihr die Gemeinsten der Gemeinen seid.« Da drängten sich die Hyacinthen um ihn, seine eigene Hyacinth mitten unter ihnen, nicht mehr auszumachen, kein Individuum mehr, sondern eine Frau wie alle anderen, und er wurde furchtbar verprügelt, lief, ein herzzerreißendes Blöken ausstoßend, im Kreis herum und suchte einen Ausweg; bis er merkte, dass die Angst seiner Angreiferinnen größer war als ihr Zorn; und er richtete sich zu voller Größe auf, breitete die Arme aus und schleuderte ihnen teuflische Laute entgegen, so dass sie davonhasteten, um sich hinter dem Kirchengestühl in Sicherheit zu bringen, während er, blutend, aber ungebeugt, vom Schlachtfeld ging.
Träume haben ihre eigene Wirklichkeit; Chamcha indes, der für kurze Zeit aufwachte, als sein Herzschlag sich in einem neuerlichen Anfall von Synkopen überschlug, erkannte schmerzlich, dass der Alptraum nicht sehr weit von der Wirklichkeit entfernt gewesen war; der Geist, der dahinter steckte, zumindest stimmte. Das war das Letzte von Hyacinth, dachte er und dämmerte wieder weg. - Um sich schlotternd in der Diele seines eigenen Hauses wiederzufinden, während, auf einer höheren Ebene, Jumpy Joshi heftig mit Pamela stritt. Mit meiner Frau.
Und als die Traum-Pamela, Wort für Wort ein Echo der echten, ihren Mann hundertundeinmal zurückgewiesen hatte, er lebt nicht, so etwas gibt es ja nicht, war es Jamshed der Tugendhafte, der Liebe und Lust hinten anstellte und half. Er ließ die weinende Pamela allein. - wehe, du bringst ihn wieder zurück, rief sie vom obersten Stockwerk, von Saladins Kammer aus - und wickelte den Geschwächten in Schafspelz und Decke, führte ihn durch die Schatten zum Café Shaandaar und versprach ihm mit leerer Freundlichkeit: »Es wird alles wieder gut, du wirst sehen, wir werden das schon hinkriegen.«
Als Saladin Chamcha aufwachte, erfüllte ihn die Erinnerung an diese Worte mit bitterem Zorn. Wo ist Farishta, dachte er.
Dieser Mistkerl! Ich wette, er lässt es sich gut gehen. Das war ein Gedanke, auf den er, mit ungewöhnlichen
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