Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
Vom Netzwerk:
sich verzog, holte sie aus einer Tasche ihrer schwarz-rot karierten Arbeitsjacke ein Fläschchen mit einer grünen Flüssigkeit, stellte es neben die Tür auf den Fußboden und verabschiedete sich mit der Bemerkung: »Ach, entschuldige, aber Mama sagt, du kannst es benutzen, es ist Mundwasser, wegen deinem Atem.«
     
    Dass Mishal und Anahita für die Verunstaltungen die er zutiefst verabscheute, schwärmten, bestätigte ihn in seiner Ansicht, dass »sein Volk« so verrückt und verschroben war, wie er es schon längst vermutet hatte. Dass die beiden auf seine Verbitterung - als sie ihm am zweiten Morgen ein Masala Dosa anstatt einem Paket Cornflakes samt silbrigen Spielzeugastronauten in seine Dachkammer brachten und er undankbar brüllte: »Was denn, soll ich etwa diesen scheußli chen ausländischen Fraß essen?« - mit Sympathiebekundungen reagierten, machte die Sache nur noch schlimmer, »Ekelhaftes Zeugs«, pflichtete Mishal ihm bei. »Gibt aber leider keine Würstchen hier,« Im Bewusstsein , dass er ihre Gastfreundschaft beleidigt hatte, versuchte er zu erklären, dass er sich inzwischen, äh, na ja, als Brite fühle. »Und was ist mit uns?« wollte Anahita wissen. »Wofür hältst du uns?«, und Mishal bekannte: »Bangladesch sagt mir nix. Irgendein Land, über das Paps und Mama sich dauernd in die Haare geraten.«
    Und Anahita, abschließend: »Banglapest.« Mit einem zufriedenen Kopfnicken. »So sag’ ich jedenfalls dazu.«
    Sie seien aber keine Engländer, wollte er ihnen sagen, nicht wirklich, für ihn zumindest nicht erkennbar. Und doch entglitten ihm in diesem Moment mit seinem alten Leben auch seine alten Gewissheiten … »Wo ist das Telefon?« erkundigte er sich. »Ich muss ein paar Anrufe machen.«
    Es war im Flur; Anahita plünderte ihr Erspartes und borgte ihm Kleingeld. Den Kopf in einen geliehenen Turban gewickelt, die Beine in einer geliehenen (Jumpys) Hose und die Füße in Mishals Schuhen versteckt, wählte Chamcha die Vergangenheit.
    »Chamcha«, sagte die Stimme von Mimi Mamoulian. »Du bist tot.«
    Während seiner Abwesenheit war dies passiert: Mimi kippte um und verlor die Zähne. »Mir wurde nicht schwarz, sondern weiß vor Augen«, sagte sie, und ihre Aussprache wurde wegen ihrer Kieferprobleme noch härter. »Warum? Frag mich nicht.
    Wer fragt in diesen Zeiten schon nach dem Warum? Welche Nummer hast du?« fragte sie, als seine Sprechzeit zu Ende war. »Ich ruf sofort zurück.« Doch es dauerte geschlagene fünf Minuten. »Ich war rasch noch auf dem Klo. Kannst du mir einen Grund nennen, warum du noch am Leben bist? Warum sich das Meer für dich und den anderen Typen geteilt und den Rest ertränkt hat? Erzähl mir nicht, du seist ein besserer Mensch.
    Das glaubt dir heutzutage niemand, nicht einmal du selbst, Chamcha. Ich war gerade in der Oxford Street, hab’ mich nach Krokodillederschuhen umgesehen, als es passierte: mitten im Gehen fiel ich wie ein Baum nach vorn, landete auf dem Kinn, und alle meine Zähne rollten über den Bürgersteig, vor die Füße eines Mannes, der den Kartentrick ›Such die Dame‹
    vorführte. Manche Menschen sind so aufmerksam, Chamcha.
    Als ich wieder zu mir kam, lagen meine Zähne in einem Häufchen neben meinem Gesicht. Ich schlug die Augen auf, und die kleinen Mistdinger starrten mich an. War das nicht nett?
    Zuerst dachte ich, Gott sei Dank, ich hab’ ja Geld. Ich hab’ sie mir wieder einsetzen lassen, privat natürlich, hat er toll hingekriegt, sitzen besser als vorher. Also hab’ ich eine Weile Pause gemacht. Die Stimmenbranche ist heruntergekommen, ich sage dir, nach deinem Tod und mit meinen Zähnen. Die haben kein Verantwortungsbewusstsein . Das Niveau ist gesunken, Chamcha. Stell den Fernseher an oder das Radio, dann wirst du hören, wie abgedroschen die Pizzawerbung ist, die Bierreklame der Jungs vom zentralen Bes etzungsbüro mit ihrem kermanischen Akzent, die Marsmenschen, die Kartoffelbrei aus der Tüte fressen und sich anhören, als kämen sie vom Mond. Sie haben uns aus der Aliens Show rausgeworfen. Werd bald wieder gesund! Übrigens, das könntest du auch mir wünschen.«
    Also hatte er neben seiner Frau und seinem Zuhause auch seine Arbeit verloren, jeden Halt im Leben. »Es ist nicht bloß das Gebiss , das mir Sorgen macht«, brach es aus Mimi heraus.
    »Ich hab’ eine Wahnsinnsangst vor den Scheissverschluss lauten .
    Ich denke andauernd daran, dass ich wieder hinsegeln werde.
    Das Alter, Chamcha. Eine einzige Erniedrigung. Man

Weitere Kostenlose Bücher