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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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Zuständigkeit.« Er ging. Alleluja wollte ihm folgen, verspürte aber so stechende Schmerzen in beiden Füßen, dass sie nicht anders konnte, als schluchzend zu Boden zu sinken: wie eine Filmschauspielerin in einem indischen Schmachtfetzen; oder Rekha Merchant am Tag, als Gibril sich endgültig von ihr trennte. Jedenfalls wie eine Figur in jener Art von Geschichte, in der aufzutreten, sie sich nie hätte vorstellen können.
    Die meteorologischen Turbulenzen, die der Zorn Gottes auf seinen Diener zusammengebraut hatte, waren einer klaren, milden Nacht gewichen, über der ein fetter, sahniger Mond hing. Nur die umgeknickten Bäume zeugten noch von der Macht des Wesens das inzwischen verschwunden war. Gibril, den weichen Hut tief ins Gesicht gezogen, den Geldgürtel fest um die Taille geschnallt, die Hände in Gabardine vergraben - die Rechte spürte dort dri nnen etwas Taschenbuchartiges - dankte stumm für seine Errettung. Da er sich seines Status’ als Erzengel nunmehr sicher war, verbannte er aus seinen Gedanken jegliche Reue über die Zeit des Zweifelns und setzte an ihre Stelle eine neue Entschlossenheit: diese Metropole der Gottlosigkeit, dieses neuzeitliche ‘Ad oder Thamoud, zu Gott zurückzuführen, auf dass der Segen des Vertrags, des heiligen Wortes, über sie käme. Er spürte, wie sein altes Ich von ihm abfiel, und er ließ es mit einem Schulterzucken fallen, wahrte aber fürs erste seine menschlichen Maße. Dies war nicht die Zeit zu wachsen, bis er den Himmel erfüllte, von Horizont zu Horizont, obwohl auch dies bald bestimmt geschehen würde.
    Die Straßen der Stadt wanden, ringelten sich wie Schlangen um ihn. London war wieder einmal ins Schwanken geraten, offenbarte seine wahre, launenhafte, gepeinigte Natur, die Qual einer Stadt, die das Gefühl für sich selbst verloren hat und folglich in der ohnmächtigen, egoistischen, zornigen Gegenwart von Masken und Parodien schwelgte und erwürgt und entstellt von der unerträglichen, nicht zurückgewiesenen Last der Vergangenheit in die Trostlosigkeit ihrer verelendeten Zukunft starrte. Er streifte durch die Straßen, in dieser Nacht und am nächsten Tag und in der darauffolgenden Nacht und immer weiter, bis Licht und Dunkelheit keine Rolle mehr spielten. Er schien weder Nahrung noch Ruhe zu brauchen, sondern nur noch rastlos durch diese gequä lte Metropole laufen zu müssen, deren Substanz sich völlig verändert hatte, die Häuser in den reichen Vierteln waren aus erstarrter Angst gebaut, die Regierungsgebäude teils aus Hochmut, teils aus Verachtung, und die Wohnungen der Armen aus Verwirrung und dinglichen Träumen. Mit den Augen eines Engels sah man das Wesen und nicht die Oberfläche, sah den Verfall der Seelen auf der Haut der Menschen Blasen werfen, sah die Großzügigkeit bestimmter Geister in Form von Vögeln auf ihren Schultern sitzen. Auf seinen Streifzügen durch die verwandelte Stadt sah er fledermausflüglige Kobolde auf Häusern hocken, die aus Betrug gebaut waren, und andere, die wurmgleich durch die zersprungenen Kacheln öffentlicher Männerpissoire krochen.
    So wie Richalmus, ein deutscher Mönch, im dreizehnten Jahrhundert mit geschlossenen Augen sofort Wolken winziger Teufel um jeden Erdbewohner schwirren und im Sonnenlicht wie Staubflocken tanzen sah, so entdeckte Gibril jetzt, mit offenen Augen und im Licht des Mondes wie der Sonne, die Gegenwart seines Widersachers, seines - um dem alten Wort seine alte Bedeutung wiederzugeben - Schaitan.
    Lange vor der Sintflut, erinnerte er sich - jetzt, da er wieder die Rolle des Erzengels angenommen hatte, wurde nach und nach offenbar die ganze Skala erzengelhafter Erinnerung und Weisheit instand gesetzt -, waren einige Engel (die Namen Semjaza und Azazel fielen ihm zuerst ein) aus dem Himmel verstoßen worden, weil sie des Menschen Töchter begehrt hatten, die nach angemessener Zeit eine üble Rasse von Giganten gebarten. Er begann, das Ausmaß der Gefahr zu verstehen, vor der er bewahrt worden war, als er Alleluja Cone verließ. O du falsches Wesen! O, du Fürstin der Mächte der Luft! Als der Prophet, Friede seinem Namen, zum ersten Mal, den Wahi, die Offenbarung, empfing, hatte er da nicht um seinen Verstand gefürchtet? Und wer hatte ihm die Sicherheit, die Gewissheit gegeben, derer er bedurfte? Jawohl: Khadija, seine Frau. Sie war es, die ihn davon überzeugte, dass er kein tobender Wahnsinniger war, sondern der Verkünder Gottes.
    Was hatte demgegenüber Alleluja für ihn getan? Du

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