Die Satanischen Verse
an jeder Ecke einer auf sie wartete. Brunels Geschichte habe sie nur benutzt, um ihn zu verhöhnen, brüllte er, es sei eine absichtliche und grausame Drohung. »Du willst, dass die Männer vor dir auf die Knie gehen«, schrie er, schon längst nicht mehr Herr seiner selbst.
»Darauf kannst du bei mir lange warten!«
»Jetzt reicht’s«, sagte sie. »Raus!«
Seine Wut verdoppelte sich. Die Toga fest um den Leib geschlungen, stakste er in das Schlafzimmer, um sich anzuziehen, die einzigen Sachen, die er besaß, einschließlich des scharlachrotgefütterten Gabardinemantels und des grauen Filzhutes von Don Enrique Diamond. Allie stand in der Tür und sah zu. »Glaub ja nicht, dass ich zurückkomme«, gellte er, wissend, dass seine Wut mühelos ausreichte, ihn zum Verlassen des Hauses zu bringen, und wartete darauf, dass sie ihn besänftigen, ihm leise zureden, ihm eine Möglichkeit geben würde zu bleiben. Aber sie zuckte die Schultern und entfernte sich, und es war genau in diesem Augenblick, im Augenblick seines größten Zorns, als die Grenzen der Erde einstürzten, dass er ein Geräusch hörte, als bräche ein Damm, die Geister der Traumwelt strömten durch den Riss in das Universum des Alltäglichen, und dann schaute Gibril Farishta Gott.
Für den Blakeschen Jesaja war Gott schlicht eine Immanenz gewesen, eine immaterielle Entrüstung, aber Gibrils Vision des Allerhöchsten war alles andere als abstrakt. Er sah, auf dem Bett sitzend, einen etwa gleichaltrigen Mann, mittelgroß, ziemlich kräftig gebaut, mit gestutztem, graumeliertem Backenbart. Am meisten erstaunte ihn, dass die Erscheinung schütteres Haar hatte, zu Schuppen neigte und eine Brille trug.
So hatte er sich den Allmächtigen nicht vorgestellt. »Wer bist du?« fragte er neugierig. ( Alleluja Cone, die stehengeblieben war, als sie ihn mit sich selbst sprechen hörte, und ihn jetzt mit einem Ausdruck echter Panik beobachtete, interessierte ihn nicht mehr.)
»Ooparvala«, antwortete die Erscheinung. »Der von oben.«
»Woher soll ich wissen, dass du nicht der Andere bist?« fragte Gibril listig. »Neechayvala, der Typ von unten?«
Eine mutige Frage, die eine bissige Antwort herausforderte.
Wenn dieser Gott auch wie ein kurzsichtiger Stadtschreiber aussah, so konnte Er doch zweifellos den traditionellen Apparat göttlichen Zorns in Bewegung setzen. Wolken zogen vor dem Fenster auf, Wind und Donner erschütterten das Zimmer.
Draußen im Park knickten die Bäume um. »Wir verlieren die Geduld mit dir, Gibril Farishta. Du hast Uns lange genug in Zweifel gezogen.« Von Gottes Zorn unter Beschu ss genommen, ließ Gibril den Kopf hängen. »Wir sind nicht verpflichtet, dir die Natur Unseres Wesens zu erklären«, ging die Standpauke weiter. »Ob Wir vieles und vielförmig sind, die Vereinigung-durch-Hybridisierung solcher Extreme wie Oopar und Neechay verkörpern, oder ob Wir rein sind, stark, unnachgiebig - das wird hier nicht geklärt werden.« Das unordentliche Bett, auf dem der Besucher Seinen Hintern gesetzt hatte (der, wie Gibril jetzt sah, einen schwachen Lichtschein ausstrahlte, wie der ganze übrige Leib), wurde mit einem höchst missbilligenden Blick bedacht. »Entscheidend ist, ab sofort wird nicht mehr gezaudert. Du wolltest klare Beweise Unserer Existenz haben?
Wir haben dir in deinen Träumen die Offenbarung geschickt, in der nicht nur Unser Wesen, sondern auch das deine erklärt wurde. Du aber hast dich dagegen gewehrt, hast gegen den Schlaf gekämpft, in dem Wir dich erwecken wollten. Deine Furcht vor der Wahrheit hat Uns schließlich dazu gezwungen, zu dieser vorgerückten nächtlichen Stunde in der Wohnung dieser Frau zu erscheinen, wiewohl es mit einigen persönlichen Unannehmlichkeiten verbunden war. Es wird jetzt Zeit, dass du dich zusammennimmst! Haben Wir dich vom Himmel fallen lassen, damit du mit einer (fraglos bemerkenswerten) plattfüßigen Blondine ‘rumturnst und dich mit ihr überwirfst? Wir haben viel zu tun.«
»Ich bin bereit«, sagte Gibril ergeben. »Ich wollte sowieso gerade gehen.«
»Hör mal«, sagte Allie Cone, »Gibril, verdammt noch mal, vergiss , dass wir uns gestritten haben. Ich liebe dich.«
Sie waren jetzt nur noch zu zweit in der Wohnung. »Ich muss gehen«, sagte Gibril ruhig. Sie hakte sich bei ihm unter. »Echt, ich finde, du siehst wirklich schlecht aus.« Er war wieder im Vollbesitz seiner Würde. »Nachdem du mich aufgefordert hast zu gehen, fällt meine Gesundheit nicht mehr in deine
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