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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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abzuschleifen, ihre Erfindungen anzupassen, die Phantasie nach der Wirklichkeit zu gestalten, zu lernen, wie man miteinander lebt, oder auch nicht. Es klappt oder es klappt nicht. Aber anzunehmen, Gibril Farishta und Alleluja Cone hätten diesen bekannten Weg beschreiten können, hieße, den Fehler machen, ihre Beziehungen für etwas Gewöhnliches zu halten. Das war sie nicht, nicht einmal ansatzweise.
    Es war eine Beziehung mit erheblichen Schwachpunkten.
    (»Die moderne Stadt«, hatte Otto Cone einst seinem Steckenpferd gefrönt und bei Tisch vor gelangweilter Familie doziert, »ist der klassisch e Ort unvereinbarer Realitäten. Existenzen, die nichts miteinander verbindet, sitzen Seite an Seite im Omnibus. Ein Universum, das auf einem Zebrastreifen eine Straße überquert, wird für einen Augenblick, verständnislos wie ein Kaninchen, von den Scheinwerfern eines Automobils eingefangen, in dem sich ein völlig fremdes und widersprüchliches Kontinuum befindet. Und solange es dabei bleibt, gehen sie nachts aneinander vorüber, drängen sich in U-Bahnhöfe, nehmen in irgendwelchen Hotelkorridoren die Hüte ab, kein Grund zur Aufregung. Aber wenn sie aufeinander treffen! Das ist Uran und Plutonium, die sich gegenseitig auflösen, bummms!« - »Eigentlich«, sagte Alicja, »komme ich mir selbst oft ein wenig unvereinbar vor, mein Lieber.«) Die Schwachpunkte in der großen Liebe zwischen Alleluja Cone und Gibril Farishta waren wie folgt: ihre heimliche Angst vor ihrer heimlichen Sehnsucht, also der Liebe; aufgrund derer sie dazu neigte, den Menschen, dessen Zuneigung sie am meisten suchte, zu meiden, ja heftig zu attackieren; und je größer die Vertrautheit, desto heftiger schlug sie um sich; so dass der andere, der an einen Ort absoluten Vertrauens geführt worden war und seine Abwehr aufgegeben hatte, die ganze Wucht des Schlages abbekam und zu Boden ging; was Gibril Farishta tatsächlich widerfuhr, als ihm nach drei Wochen ekstatischer Liebeslust, wie sie beide sie noch nie erlebt hatten, ohne Umschweife und ziemlich scharf gesagt wurde, er solle sich eine andere Wohnung suchen, weil sie, Allie, mehr Ellbogenfreiheit benötige als ihr gegenwärtig zur Verfügung stehe.
    Und seine maßlose Besitzgier und Eifersucht, von der er selbst überhaupt nichts gewusst hatte, weil er noch nie zuvor Frauen als Schatz betrachtet hatte, den es um jeden Preis zu beschützen galt, vor Piraten, die selbstverständlich versuchen würden, ihn zu stehlen - wozu gleich noch mehr zu sagen sein wird.
    Und der verhängnisvolle Schwachpunkt, nämlich Gibril Farishtas unmittelbar bevorstehende Erkenntnis - oder, wenn man so will, Wahnsinnsidee -, dass er doch tatsächlich ein Erzengel in Menschengestalt sei, und zwar nicht irgendein Erzengel, sondern der Engel des Vortrags, von allen (nachdem Schaitan gestürzt war) der erhabenste.
    Derart isoliert hatten sie ihre Tage verbracht, eingehüllt in die Laken ihrer Begierde, dass seine wilde, unbändige Eifersucht, die, wie Jago warnte, »das Fleisch verspottet, das sie nährt«, nicht sogleich ans Tageslicht kam. Sie offenbarte sich zuerst in der absurden Sache mit den drei Karikaturen, die Allie neben der Wohnungstür aufgehängt hatte, beigefarbene Passepartouts und in Altgold gerahmt, allesamt übermittelten dieselbe Botschaft. Für A. hoffnungsvoll, Brunel, auf die rechte untere Ecke der Passepartouts geschrieben. Als Gibril diese Schriftzüge entdeckte, verlangte er eine Erklärung, mit dem Zeigefinger am ausgestreckten Arm auf die Zeichnungen deutend, mit der anderen Hand hielt er ein um den Körper geschlungenes Laken fest (er war in dieser informellen Weise gekleidet, weil er sich gesagt hatte, dass die Zeit gekommen sei, eine gründliche Inspektion des Anwesens vorzunehmen, kann nicht das ganze Leben auf meinem, geschweige denn auf deinem Rücken verbringen, hatte er gesagt); Allie lachte versöhnlich. »Du siehst aus wie Brutus, würdevoll und zum Mord entschlossen«, zog sie ihn auf. »Wie ein Ehrenmann.« Er erschreckte sie mit dem wütenden Ruf: »Sag mir sofort, wer dieser Mistkerl ist.«
    »Das kann doch nicht dein Ernst sein«, sagte sie. Jack Brunel war Trickfilmzeichner, Ende Fünfzig und hatte ihren Vater gekannt. Sie hatte sich nie für ihn interessiert, aber ihm war eingefallen, ihr auf diese verklemmte, stumme Weise den Hof zu machen und ihr von Zeit zu Zeit diese Blätter zu schicken.
    »Warum hast du sie nicht in den Papierkorb geworfen?«
    heulte Gibril. Allie, die das

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