Die Satanischen Verse
seinem Gürtel gehortet war. Er blieb niedergeschlagen.
»Ganz gleich, was du sagst«, murmelte er, wenn sie versuchte, ihn aufzumuntern. »Der Wahnsinn sitzt hier drin, und der Gedanke, er könnte jeden Moment wieder ausbrechen, jetzt sofort, und er hätte alles wieder im Griff -macht mich rasend.«
Er hatte begonnen, von sei nem »besessenen, erzenglischen« Ich wie von einer anderen Person zu sprechen, nach der Beckettschen Formel: Nicht ich. Er. Sein ganz privater Mr. Hyde. Allie versuchte, sich gegen solche Beschreibungen zu wehren. »Es ist nicht er, sondern du, und wenn du gesund bist, wird es ihn nicht mehr geben.«
Es klappte nicht. Eine Weile jedoch sah es aus, als schlüge die Behandlung an. Gibril wirkte ruhiger, kontrollierter; die Fortsetzungsträume suchten ihn weiterhin heim - nachts rezitierte er noch immer Verse auf Arabisch , einer ihm unbekannten Sprache, zum Beispiel tilk al-gharaniq al-‘ula wa inna shafa’ ata-hunna la-turtaja, was, wie sich herausstellte, bedeutete (Allie, aufgewacht d urch sein nächtliches Gemurmel, hatte sie phonetisch notiert, ging mit ihrem Zettel zur Moschee von Brickhall, las dem Mullah die Worte vor, so dass ihm die Haare einzeln zu Berge standen): »Dies sind erhabene weibliche Wesen, deren Fürsprache wahrlich erwünscht ist«, aber offenbar war er imstande, diese nächtlichen Shows als etwas außerhalb seiner selbst zu sehen, was bei Allie und den Krankenhauspsychiatern den Eindruck erweckte, dass Gibril allmählich wieder den Grenzwall zwischen Traumwelt und Realität errichtete und sich auf dem Weg der Besserung befand; tatsächlich aber war, wie sich zeigte, diese Grenzziehung verwandt, ja identisch mit der Spaltung seines Bewusstseins in zwei Wesen, deren eines er heldenhaft zu unterdrücken suchte, zugleich aber, indem er es als andere Person betrachtete, konservierte, pflegte und insgeheim stärkte.
Was Allie betraf, so verlor sie für eine Weile dieses prickelnde, verkehrte Gefühl, in einer falschen Umgebung gelandet zu sein, in einer fremden Geschichte. Sie sorgte für Gibril, investierte in sein Gehirn, wie sie es nannte, rackerte sich ab für seine Errettung, damit sie den großen, aufregenden Kampf ihrer Liebe wieder aufnehmen konnten; denn sie würden wohl bis ins Grab miteinander streiten, dachte sie amüsiert, zwei alte Käuze, die auf der abendlichen Veranda ihres Lebens sitzen und mit zusammengerollten Zeitungen matt aufeinander einschlagen, und sie fühlte sich ihm mit jedem Tag näher, sozusagen verwurzelt in seiner Erde. Es war schon eine Weile her, seit Maurice Wilson gesichtet worden war, wie er zwischen den Kaminen hockte und sie in den Tod lockte.
Mr. »Whisky« Sisodia, dieses strahlende und höchst charmante Knie mit Brille, war ein regelmäßiger Gast während Gibrils Rekonvaleszenz - drei oder vier Besuche wöchentlich -, und stets kam er mit Paketen voller Leckereien. Gibril hatte sich in seiner »Engels-Periode« buchstäblich zu Tode gefastet, und die Ärzte vertraten die Ansicht, dass Hunger in erheblichem Maße zu seinen Halluzinatio nen beigetragen habe. »Na, dann päp-päpp-päppeln wir ihn mal wieder auf.« Sisodia klatschte in die Hände, und sobald der Magen des Invaliden wieder aufnahmebereit war, überhäufte »Whisky« ihn mit Delikatessen: chinesischer Zuckermais und Hühnersuppe, Bhelpuri à la Bombay aus dem schicken, neuen Restaurant mit dem unglücklich gewählten Namen »Pagal Khana «, dessen »verrückte Küche« (das Wort ließ sich aber auch mit Irrenhaus übersetzen) vor allem unter den jüngeren Asiaten populär geworden war und sogar mit der traditionellen Beliebtheit des Café Shaandaar zu konkurrieren vermochte, aus dem Sisodia, um nicht ungehöriger Parteilichkeit geziehen, zu werden, ebenfalls Speisen (Süßigkeiten, Samosas, Hühner Patties) für den immer unersättlicheren Gibril holte. Er brachte zudem auch Selbstgekochtes mit, Fisch-Curries, Raitas, Sivayyan, Khir, und tischte nicht nur Essbares auf, sondern auch Klatschgeschichten von Prominentenpartys. Wie gut Pavarotti Whiskys Lassis geschmeckt hatten, und wie der arme James Mason seine scharf gewürzten Garnelen verschlungen hatte - Vanessa, Amitabh, Dustin, Sridevi, Christopher Reeve, sie alle waren dabei. »Ein Susu-Superstar sollte wissen, welchen Geschmack seine Koko-Kollegen haben.« Allie erfuhr von Gibril, dass Sisodia selbst so etwas wie eine Legende war. Der gerissenste und redegewandteste Mann in der Branche, hatte er eine Reihe
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