Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
Vom Netzwerk:
glauben das und in phantasievollen Zeiten konnte diese feste Überzeugung Berge versetzen; aber nicht viele sind imstande, eine feste Überzeugung zu irgendeinem Ding zu entwickeln. »Hörst du mir zu, junge Frau? Ich meine es ernst. Dieser Herr, der in deinem Bett liegt: er bedarf nicht deiner nächtlichen Fürsorge - verzeih mir, aber ich will offen reden, da es mir notwendig erscheint -, sondern, um ehrlich zu sein, einer Gummizelle.«
    »Das würdest du tun, nicht wahr?« schlug Allie zurück. »Du würdest den Schlüssel wegwerfen. Würdest ihn vielleicht sogar an irgendwelche Apparate anschließen, die Teufel aus seinem Kopf herausbrennen, seltsam, dass sich unsere Vorurteile nicht ändern.«
    »Hmmmm«, kaute Alicja und setzte ihren nichtssagendsten und naivsten Gesichtsausdruck auf, um ihre Tochter zu ärgern.
    »Was kann es schon schaden? Ja, ein kleiner Stromstoß vielleicht, eine kleine Dosis von dem Saft…«
    »Er bekommt, was er braucht, Mutter. Richtige ärztliche Versorgung, viel Ruhe und etwas, was du vielleicht schon vergessen hast.« Sie stockte plötzlich, die Zunge verknotet, und mit völlig veränderter, leiser Stimme bekam sie, ihren unberührten Salat anstarrend, das letzte Wort heraus: »Liebe.«
    »Ah, die Macht der Liebe«, Alicja tätschelte die (sofort zurückgezogene) Hand ihrer Tochter. »Nein, ich habe sie nicht vergessen, Alleluja . Du hast gerade erst angefangen in deinem wunderschönen Leben, die Liebe kennenzulernen. Und wen hast du dir ausgesucht?« Jetzt war sie wieder zum Angriff übergegangen.
    »Einen Faulpelz, Nichtsnutz, Spinner. Also wirklich, meine Liebe: Engel, so was ist mir noch nie vorgekommen. Männer halten sich immer für was Besonderes, aber dieser hier schlägt dem Fass den Boden aus.«
    »Mutter…«, begann Allie, doch Alicjas Stimmung hatte sich wieder verändert, und diesmal achtete Allie nicht auf die Worte, sondern hörte den Schmerz, den sie offenbarten und verbargen, das Leid einer Frau, die Geschichte auf brutalste Weise erlebt hatte, die ihren Mann verloren hatte und eine Tochter, deren Tod sie einmal mit unvergesslichem schwarzen Humor (sie musste die Sportseiten zufällig gelesen haben, um auf diesen Ausdruck zu stoßen) mit vorzeitig baden gegangen umschrieben hatte. »Allie, mei n Kleines«, sagte Alicja Cohen, »wir werden gut auf dich aufpassen müssen.«
    Ein Grund, weshalb Allie Panik und Schmerz im Gesicht ihrer Mutter erkannte, war der Umstand, dass ihr die gleiche Kombination unlängst bei Gibril Farishta aufgefallen war.
    Nachdem Sisodia ihn bei ihr abgeliefert hatte, wurde ihr klar, dass Gibril etwas Markerschütterndes zugestoßen sein musste , und er hatte diesen gehetzten Ausdruck, diese glupschäugige Angst, die ihr das Herz zerriss . Er fand sich couragiert damit ab, dass er geisteskrank war, lehnte es ab, die Krankheit herunterzuspielen oder mit einem anderen Namen zu bezeichnen, aber die Anerkennung der Fakten hatte ihn, verständlicherweise, niedergedrückt. Nicht mehr (jedenfalls vorläufig) jener kraftstrotz ende Wüstling, für den sie eine »große Leidenschaft« empfunden hatte, wurde er in dieser ungewohnt verletzlichen Inkarnation liebenswerter für sie als je zuvor. Sie war fest entschlossen, ihm zur Gesundheit zurückzuhelfen, auszuharren, den Sturm abzuwarten und dann den Gipfel zu erklimmen. Und er war, jedenfalls im Moment, ein überaus angenehmer und gefügiger Patient, ein wenig benommen von den starken Medikamenten, die ihm die Ärzte vorn Maudsley-Krankenhaus verabreichten, er schlief lange, und wenn er wach war, fügte er sich in alles, worum sie ihn bat, ohne ein Wort des Protestes. In hellen Momenten erzählte er ihr die Geschichte seiner Krankheit: die merkwürdigen Serienträume und, davor, der beinahe tödliche Zusammenbruch in Indien. »Ich fürchte mich jetzt nicht mehr vor dem Schlaf«, sagte er. »Weil das, was passiert, wenn ich wach bin, viel schlimmer ist.« Seine größte Furcht erinnerte sie an die Angst des wiedereingesetzten Charles II., dauernd »auf Reisen« gehen zu müssen. »Ich würde alles dafür geben, wenn ich bloß wüsste , dass es nie wieder passiert«, sagte Gibril ergeben wie ein Lamm.
    Lebt dort, wer seinen Schmerz liebt? »Es wird nicht mehr passieren«, versicherte sie ihm. »Du bekommst die beste Hilfe, die es gibt.« Er erkundigte sich nach der Bezahlung und bestand darauf, als sie seinen Fragen auswich, dass sie die psychiatrische Behandlung von dem Geld bezahlen sollte, das in

Weitere Kostenlose Bücher