Die Satanischen Verse
können Sie und Gibril sich dann treffen; das hat ihm wirklich gutgetan.«
»Sie können mich jederzeit anrufen«, er winkte ihr zu und sah dem Citroen nach, bis er verschwunden war.
Dass Allie Cone, die dritte Ecke in einem Dreieck der Fiktionen - denn waren Gibril und Allie nicht größtenteils dadurch zusammengekommen, dass sie, aus ihren eigenen Bedürfnissen heraus, eine »Allie« und einen »Gibril«
phantasierten, in den der jeweils andere sich verlieben konnte; und drängte Chamcha ihnen nicht die Erfordernisse seines eigenen verwirrten und enttäuschten Herzens auf? -, das ahnungslose, unschuldige Werkzeug von Chamchas Rache sein sollte, wurde dem Verschwörer Saladin noch klarer, als er merkte, dass Gibril, mit dem er vereinbart hatte, einen äquatorialen Nachmittag in London zu verbringen, nichts so sehr wollte, als in peinlichen Details die fleischliche Ekstase zu beschreiben, welche er mit Allie im Bett teilte. Was waren das für Leute, fragte Saladin sich voll Abscheu, die Gefallen daran fanden, unbeteiligte Dritte mit ihren Intimitäten zu behelligen?
Während Gibril (geradezu genießerisch) Positionen , Knutschflecke, das geheime Vokabular der Begierde beschrieb, schlenderten sie über die Brickhall Fields, um sie herum Schulmädchen und rollschuhlaufende Kinder und Väter, die spöttischen Söhnen stümperhaft Bumerangs und Frisbees zuwarfen, und bahnten sich einen Weg durch röstendes horizontales Sekretärinnenfleisch; und Gibril unterbrach seine erotische Schwärmerei mit der neurotischen Bemerkung:
»Manchmal schaue ich diese rosa Leute an, Spoono, und sehe statt Haut faulendes Fleisch; ich rieche Verwesung, hier«, er tippte sich heftig an die Nasenflügel, als lüftete er ein Geheimnis, »in meiner Nase.« Dann wieder zurück zu den Innenseiten von Allies Schenkeln, ihren verhangenen Augen, dem vollendeten Tal über ihrem Po, den kleinen Schreien. Das war ein Ma nn, der in höchster Gefahr schwebte, endgültig aus den Fugen zu geraten. Die wilde Energie, die manische Ausführlichkeit seiner Beschreibungen verrieten Chamcha, dass er seine Dosen wieder zurückgeschraubt hatte, dass er dem Gipfel eines geisteskranken Hochs entgegenwallte, jenem Zustand fiebriger Erregung, der in einer Hinsicht (so jedenfalls Allie) wie Sturzbesoffenheit war, nämlich dass Gibril sich an nichts erinnern konnte, was er sagte oder tat, wenn er, was unvermeidlich war, wieder zurück auf den Boden kam. Immer weiter ging es mit den Beschreibungen, die ungewöhnliche Länge ihrer Brustwarzen, ihre Abneigung dagegen, dass man sich ihren Nabel vornahm, die Sensibilität ihrer Zehen.
Chamcha sagte sich, Wahnsinn hin oder her, was das ganze Sexgerede enthüllte (denn da war auch Allie in dem Citroen gewesen), war die Schwäche ihrer sogenannten »grande passion« - ein Ausdruck, den Allie nur halb im Scherz benutzt hatte - , denn, mit einem Wort, es war nichts sonst dran, das trug; es gab schlicht keinen anderen Aspekt ihres Zusammenseins, von dem sie schwärmen konnten. Gleichzeitig merkte er allerdings, dass er erregt wurde. Er sah sich vor Allies Fenster stehen, während sie nackt wie eine Schauspielerin auf der Leinwand dastand und eine Männerhand sie auf tausend Arten streichelte, sie der Ekstase immer näher brachte; dann sah er sich als das Händepaar, fast spürte er ihre Kühle, wie sie sich unter ihnen wand, hörte ihre Schreie. Er beherrschte sich.
Sein Verlangen widerte ihn an. Sie war unerreichbar; das war der pure Voyeurismus, und er würde ihm nicht erliegen. Doch das Verlangen, das Gibrils Enthüllungen entfacht hatten, ließ ihn nicht los.
Gibrils Sexbesessenheit, gemahnte Chamcha sich, machte die Sache eigentlich einfacher. »Sie ist wirklich eine sehr attraktive Frau«, murmelte er versuchsweise und wurde mit einem wütenden, verkniffenen Blick belohnt. Daraufhin legte Gibril, sich ostentativ beherrschend, Saladin den Arm um die Schultern und tönte: »Entschuldige, Spoono, ich bin ein übellauniger Mistkerl, wenn es um sie geht. Aber du und ich!
Wir sind doch Bhai-Bhai! Sind durch das Schlimmste und lächelnd wieder raus; komm jetzt, genug lustgewandelt. Auf in die Stadt.«
Es gibt den Augenblick vor dem Bösen; dann den Augenblick des; dann die Zeit danach, wenn der Schritt getan ist und jeder folgende zunehmend leichter wird. »Soll mir recht sein«, antwortete Chamcha. »Schön, wenn’s dir so gut geht.«
Ein sechs-oder siebenjähriger Junge radelte auf einem BMX-Rad an ihnen vorbei.
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