Die Satanischen Verse
war und noch immer mit diesem zusammenlebte, nichts weiter als die Gelackmeierte.
Politische Motive - beide Beteiligten waren für ihre radikalen Ansichten wohlbekannt - seien nicht auszuschließen, wobei das Wasser der extrem linken Grüppchen, in denen sie verkehrten, so trübe sei, dass es schwierig würde, je zu einem klaren Bild hinsichtlich der möglichen Motive zu gelangen. Ebenfalls sei möglich, dass die beiden Verbrechen, auch wenn sie von ein und demselben Mann begangen worden waren, unterschiedliche Beweggründe hatten. Möglicherweise war der Mann nur der gedungene Verbrecher, welcher das Shaandaar des Versicherungsgeldes wegen im Auftrag der inzwischen verstorbenen Besitzer niedergebrannt und das AMK A im Auftrag seiner Geliebten angezündet hatte, vielleicht aufgrund irgendeiner internen Vendetta?
Dass das Feuer im AMKA Brandstiftung war, stand außer Zweifel. Über Schreibtische, Papiere, Vorhänge sei etliches Benzin gegossen worden. »Man weiß vielerorts nicht, wie schnell sich ein Benzinfeuer ausbreitet«, erklärte Inspektor Kinch den kritzelnden Journalisten. Die Leichen, die so verbrannt waren, dass zum Zwecke der Identifizierung Zahnbehandlungsunterlagen herangezogen werden mussten , waren im Fotokopierraum aufgefunden worden. »Mehr wissen wir nicht.« Ende.
Ich weiß mehr.
Ich habe jedenfalls noch Fragen. Beispielsweise nach einem nicht näher gekennzeichneten blauen Mercedes-Lieferwagen, der Walcott Roberts’ Wagen und dann Pamela Chamchas MG
verfolgte. Nach den Männern, die aus diesem Lieferwagen stiegen, die Gesichter hinter Halloween-Masken versteckt, und just in dem Augenblick, als Pam ela die Haustür öffnete, in die Büroräume des AMKA stürmten. Und danach, was in diesen Büroräumen wirklich geschah, da purpurne Backsteine und kugelsicheres Glas nicht ohne weiteres vom menschlichen Auge durchdrungen werden können. Und schließlich nach dem Verbleib einer roten Plastikmappe sowie der Dokumente, die sie enthielt.
Inspektor Kinch? Sind Sie noch da?
Nein. Er ist weg. Er hat keine Antworten für mich.
Hier kommt Mr. Saladin Chamcha, im Kamelhaarmantel mit dem Seidenkragen. Wie ein kleiner Gauner hetzt er die High Street entlang. Der nämliche, schreckliche Mr. Chamcha, der soeben einen Abend in Gesellschaft der verzweifelten Alleluja Cone verbracht hat, ohne auch nur einen Funken Reue zu verspüren. »Ich seh’ ihm auf den Fuß«, sagte Othello über Jago, »doch das ist Fabel.« Auch ist Chamcha nicht mehr fabelhaft; seine Menschlichkeit ist genügend Form und Erklärung für seine Tat. Er hat zerstört, was er nicht ist und nicht sein kann, hat Rache genommen, Verrat mit Verrat vergolten, und er hat es getan, indem er die Schwäche seines Feindes ausgenutzt, seine ungeschützte Ferse verletzt hat.
Darin liegt Befriedigung. De nnoch, da rennt Mr. Chamcha. Die Welt ist voller Wut und Geschehen. Die Dinge sind in der Schwebe. Ein Gebäude brennt.
Bumba, schlägt sein Herz. Dumba, bumba, dadum.
Jetzt sieht er das Shaandaar in Flammen stehen und kommt schliddernd zum Stehen. Die Brust ist ihm eng geworden - ba-dumba! -, und er hat Schmerzen im linken Arm. Er merkt es nicht, starrt auf das brennende Haus.
Und sieht Gibril Farishta.
Und dreht sich um, und rennt hinein.
»Mishal! Sufyan! Hind!« schreit der böse Mr. Chamcha. Das Erdgeschoß steht noch nicht ganz in Flammen. Er reißt die Tür zur Treppe auf, und ein sengender, grausiger Wind stößt ihn zurück. Drachenhauch, denk t er. Der Treppenabsatz ist ein Flammenmeer, die Flammen reichen vom Boden bis zur Decke.
Keine Möglichkeit, da durchzukommen.
»Jemand da?« brüllt Saladin Chamcha. »Ist da jemand?«
Doch der Drache donnert lauter, als er schreien kann.
Etwas Unsichtbares tritt ihm in die Brust, er taumelt zurück, er sinkt zu Boden, zwischen die leeren Tische. Duum, singt sein Herz. Nimm das. Und das.
Über seinem Kopf ist ein Lärm wie vom Getrappel einer Milliarde Ratten, gespenstische Nager, die einem geisterhaften Fänger folgen. Er blickt nach oben: die Decke steht in Flammen. Er kann nicht aufstehen. Während er hinaufblickt, löst sich ein Teil der Decke, und er sieht, wie ein Balken auf ihn zu fällt. Er kreuzt die Arme in schwacher Selbstverteidigung.
Der Balken heftet ihn an den Boden, bricht ihm beide Arme.
Seine Brust ist voller Schmerzen. Die Welt weicht zurück.
Atmen fällt schwer. Er kann nicht sprechen. Er ist der Mann der Tausend Stimmen, und keine ist mehr da.
Gibril Farishta,
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