Die Satanischen Verse
befanden, und dass sie wie Bauern zu Fuß unterwegs waren, einfache Kurta-Pajamas und keinerlei Schmuck trugen. An diesem Punkt tapste Srinivas hinüber zu der Kantine an der Straße, um die sich die Pilger aus Titlipur scharten, während Kartoffelbhurtas und -parathas die Runde machten. Dort traf er gleichzeitig mit dem Polizeijeep von Chatnapatna ein. Der Inspektor stand auf dem Beifahrersitz und brüllte durch ein Megapho n, er werde gegen diesen »kommu nalistischen« Marsch unnachsichtig Maßnahmen ergreifen, sollte dieser sich nicht umgehend auflösen. Eine Hindu-Moslem-Geschichte, dachte Srinivas, schlimm, schlimm.
Die Polizei behandelte den Pilgerzug als eine Art sektiererische Demonstrat ion, doch als Mirza Said Akhtar vortrat und dem Inspektor die Wahrheit sagte, wurde der Beamte verwirrt. Sri Srinivas, ein Brahmane, war offensichtlich nicht der Mann, der jemals eine Pilgerfahrt nach Mekka erwogen hatte, aber nichtsdestoweniger war er beeindruckt. Er drängte sich durch die Menge, um zu hören, was der Zamindar sagte: »Und es ist die Absicht dieser guten Leute, zum Arabischen Meer zu marschieren, in dem Glauben, dass die Wasser sich vor ihnen teilen werden.« Mirza Saids Stimme klang schwach, und der Inspektor, Chatnapatnas Oberster Wachtmeister, war nicht überzeugt. »Ist das Ihr Ernst, ji?« Mirza Said sagte: »Nicht meiner. Ihrer, die meinen es todernst. Ich habe vor, sie davon abzubringen, bevor irgendetwas Verrücktes passiert.« Der Oberste Wachtmeister, über und über Tressen, Schnauzbart und Gewichtigkeit, schüttelte den Kopf.
»Aber schauen Sie doch, wie kann ich zulassen, dass sich so viele Individuen auf der Straße versammeln? Die Leute können sich erregen, Zwischenfälle sind möglich.« Da teilte sich die Masse der Pilger, und Srinivas sah zum ersten Mal die phantastische Mädchengestalt, die völlig in Schmetterlinge gekleidet war und der schneegleiches Haar bis zu den Knöcheln herabfiel. »Arré deo«, schrie er, »Aischa, bist du das?« Und setzte törichterweise hinzu: »Und wo sind meine Familienplanungspuppen?«
Sein Ausbruch blieb unbemerkt: alle Welt beobachtete Aischa, wie sie auf den schwellbrüstigen Obersten Wachtmeister zuging. Sie sagte nichts, sondern lächelte und nickte, worauf der Bursche zwanzig Jahre jünger zu werden schien, bis er auf die Art eines zehn oder elfjährigen Jungen sagte: »Okay, okay, Mausi. Tut mir leid. Nichts für ungut. Ich bitte um Entschuldigung.« Das war das Ende des Ärgers mit der Polizei. Später, in der Nachmittagshitze, warf eine Horde Jugendlicher aus der Stadt, denen man RSS-und Vishwa Hindu Parishad-Verbindungen nachsagte, Steine von nahegelegenen Dächern; woraufhin der Oberste Wachtmeister sie in weniger als zwei Minuten verhaften und ins Gefängnis werfen ließ.
»Aischa, Tochter«, sagte Srinivas laut in die leere Luft hinein,
»was zum Teufel ist mit dir geschehen?«
Während der Hitze des Tages ruhten sich die Pilger in jedem nur erreichbaren Schatten aus. Srinivas wanderte in einer Art Benommenheit zwischen ihnen umher, bis obenhin mit Emotionen gefüllt, und wurde sich bewusst , dass auf unerklärliche Weise ein großer Wendepunkt in seinem Leben eingetreten war. Sein Blick suchte nach der verwandelten Gestalt Aischas, der Seherin, die zusammen mit Mishal Akhtar, ihrer Mutter Mrs. Qureishi und dem liebeskranken Osman mit dem Ochsen im Schatten eines Peepul-Baums ruhte.
Schließlich stolperte Srinivas über den Zamindar Mirza Said, der sich auf der Rückbank seines Mercedes-Benz ausgestreckt hatte, aber keinen Schlaf fand, ein Mann in Pein. Srinivas sprach ihn mit einer Demut an, die seiner Verwunderung entsprang. »Sethji, Sie glauben doch nicht an das Mädchen?«
»Srinivas«, Mirza Said setzte sich auf, um zu antworten, »wir sind moderne Männer. Wir wissen beispielsweise, dass alte Leute auf langen Reisen sterben, dass Gott keinen Krebs heilt und dass sich die Ozeane nicht teilen. Wir müssen mit dieser Idiotie Schluss machen. Kommen Sie mit mir. Viel Platz im Wagen. Vielleicht können Sie mir helfen, ihnen das auszureden; diese Aischa, die ist Ihnen dankbar, vielleicht hört sie auf Sie.«
»Im Wagen?« Srinivas fühlte sich hilflos, als packten ihn kräftige Hände an den Gliedern. »Ich habe da mein Geschäft, aber.«
»Das ist für viele unserer Leute ein Selbstmordkommando«, drängte Mirza Said ihn. »Ich brauche Hilfe. Natürlich kann ich auch bezahlen.«
»Geld spielt keine Rolle.« Srinivas zog sich
Weitere Kostenlose Bücher