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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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beleidigt zurück.
    »Bitte entschuldigen Sie, Sethji. Ich muss es mir überlegen.«
    »Ja, sehen Sie denn nicht?« rief Mirza Said ihm nach. »Sie und ich, wir sind keine Religiösen. Hindu-Moslem Bhai-Bhai!
    Wir können gegen diesen Mumpitz eine säkulare Front bilden.«
    Srinivas wandte sich um. »Aber ich bin kein Ungläubiger«, protestierte er. »Das Bildnis der Göttin Lakschmi hängt immer bei mir an der Wand.«
    »Reichtum ist eine ausgezeichnete Göttin für einen Geschäftsmann«, sagte Mirza Said.
    »Und in meinem Herzen«, fügte Srinivas hinzu. Mirza Said platzte der Kragen. »Aber Göttinnen, ich bitte Sie. Sogar Ihre eigenen Philosophen räumen ein, dass es sich dabei nur um abstrakte Konzepte handelt. Verkörperungen von Shakti, was selbst auch eine abstrakte Vorstellung ist: die dynamische Macht der Götter.«
    Der Spielzeugfabrikant blickte auf Aischa hinab, wie sie unter ihrer Schmetterlingsdecke schlief. »Ich bin kein Philosoph, Sethji«, sagte er. Und sagte nicht, dass ihm das Herz wild bis zum Hals schlug, weil er bemerkt hatte, dass das schlafende Mädchen und die Göttin auf dem Kalender an seiner Fabrikwand identische, absolut gleiche Gesichter hatten.
     
    Der Pilgerzug verließ die Stadt, und Srinivas begleitete ihn, taub gegenüber dem Flehen seiner wildhaarigen Frau, die Minoo hochhob und vor dem Gesicht ihres Gatten schüttelte. Er erklärte Aischa, dass er zwar nicht Mekka besuchen wolle, aber von einer Sehnsucht ergriffen worden sei, eine Weile mitzuziehen, vielleicht sogar bis zum Meer.
    Als er seinen Platz unter den Leuten von Titlipur einnahm und mit dem Mann neben ihm in Gleichschritt fiel, sah er mit einer Mischung aus Unverständnis und Schrecken zu jenem unendlichen Schmetterlingsschwarm über ihren Köpfen hinauf, der gleich einem gigantischen Schirm die Pilger vor der Sonne schützte. Es war, als hätten die Schmetterlinge von Titlipur die Funktion des großen Baums übernommen. Als nächstes stieß er einen kleinen Schrei der Angst, der Verwunderung und des Vergnügens aus, denn einige Dutzend dieser chamäleonflügligen Geschöpfe hatten sich auf seiner Schulter niedergelassen und augenbl icklich das exakte Scharlachrot seines Hemds angenommen. Jetzt erkannte er den Mann an seiner Seite als den Sarpanch Muhammad Din, der es vorgezogen hatte, nicht an der Spitze zu gehen. Er und seine Frau Khadija schritten t rotz ihres fortgeschrittenen Al ters zufrieden aus, und als er den lepidopterischen Segen sah, der über den Spielzeugfabrikanten gekommen war, fasste Muhammad Din ihn bei der Hand.
    Allmählich wurde klar, dass der große Regen ausbleiben würde. Klappriges Vieh durchstreifte das Land auf der Suche nach Wasser. Liebe ist Wasser, hatte jemand mit weißer Tünche an die Backsteinwand einer Motorrollerfabrik geschrieben. Unterwegs begegneten sie anderen Familien, die nach Süden zogen, ihr Leben auf die Rücken sterbender Esel gebündelt, und auch diese strebten hoffnungsvoll dem Wasser entgegen. »Aber nicht zum Scheißsalzwasser«, rief Mirza Said den Pilgern von Titlipur zu. »Und auch nicht, um zu sehen, wie es sich zweiteilt! Sie wollen am Leben bleiben, aber ihr Irren wollt ja sterben.« Geier rotteten sich am Wegesrand zusammen und schauten den Pilgern nach.
    Mirza Said verbrachte die ersten Wochen der Pilgerfahrt zum Arabischen Meer in einem Zustand permanenter hysterischer Erregung. Zumeist marschierte man in den Morgenstunden und am späten Nachmittag, und zu diesen Zeiten sprang Said oft aus seinem Kombi, um seine sterbende Frau anzuflehen. »Sei vernünftig, Mishu. Du bist krank. Leg dich wenigstens hin, lasse mich dir eine Weile die Füße massieren.« Aber sie weigerte sich, und ihre Mutter scheuchte ihn weg. »Ach, Said, du hast eine solch negative Stimmung, das schlägt einem auf den Magen. Geh dein Coke-shoke in deinem KA-Wagen trinken und lasse uns Yatris in Frieden.« Nach der ersten Woche büßte der Wagen mit Klimaanlage seinen Fahrer ein. Mirza Saids Chauffeur kündigte und mischte sich unter die zu Fuß gehenden Pilger; der Zamindar musste sich jetzt selbst ans Steuer setzen.
    Von nun an musste er anhalten, wenn ihn seine Aufregung übermannte, parken und wie e in Wilder unter den Pilgern hin und her rennen, drohen, flehen und Bestechungsgelder anbieten. Mindestens einmal am Tag fluchte er Aischa offen ins Gesicht, weil sie sein Leben ruinierte, doch die Beschimpfungen währten nie lange, denn immer wenn er sie ansah, begehrte er sie dermaßen,

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