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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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lebendig.« Und Chamcha spürte, wie er rot wurde, spürte, wie seine Verwirrung zunahm. Indien; es brachte alles durcheinander.
    »Um Himmels willen«, sagte sie und brachte ihn mit einem Kuss zur Strecke. »Chamcha. Ach, hör doch auf. Du nennst dich Mr. Toady und erwartest, dass wir nicht lachen.«
     
    In Zeenys zerbeultem Hindustan, einem für eine Sklavenkultur gebauten Auto - der Rücksitz besser gepolstert als der Vordersitz - hatte er das Gefühl, die Nacht breche über ihn herein wie eine Menschenmenge. Indien, das ihn mit seiner Unermesslichkeit konfrontierte, die er vergessen hatte, mit seiner bloßen Anwesenheit, mit der alten, verachteten Unordnung. Eine amazonenhafte Hijra tauchte auf wie ein indisches Wunderweib, mit silbernem Dreizack, hielt den Verkehr mit gebieterischem Arm auf, schlenderte vor ihnen her.
    Chamcha starrte in ihre funkelnden Augen. Gibril Farishta, der Filmstar, der unerklärlicherweise verschwunden war, verrottete auf den Plakatwänden. Schutt, Abfall, Lärm.
    Zigarettenreklamen qualm ten vorüber: SCISSORS - FÜR DEN MANN DER TAT, DER DYNAMIK HAT. Und, noch unwahrscheinlicher: PANAMA - TEIL DES GROSSEN INDISCHEN SCHAUPLATZES.
    »Wohin fahren wir?« Die Nacht wirkte jetzt wie von grünen Neonleuchten erhellt. Zeeny parkte den Wagen. »Du weißt nicht, wo du bist«, tadelte sie ihn. »Was weißt du über Bombay? Deine eigene Stadt, n ur dass sie es nie war. Für dich ist sie ein Kindheitstraum. Am Scandal Point aufzuwachsen ist, wie auf dem Mond zu leben. Dort gibts keine Bustees, nein, mein Herr, nur Dienstbotenunterkünfte. Sind Shiv-Sena-Leute dorthin gekommen, um Unruhe zu stiften? Sind eure Nachbarn während des Textilstreiks verhungert? Hat Datta Samant vor euren Bungalows eine Massenversammlung abgehalten? Wie alt warst du, als du einen Gewerkschafter kennengelernt hast?
    Wie alt, als du zum ersten Mal in einen Vorortzug gestiegen bist, statt in einen Wagen mit Chauffeur? Das war nicht Bombay, Liebling, du musst schon entschuldigen. Das war ein Wunderland, Peristan, ein Wolkenkuckucksheim , das Schlaraffenland.«
    »Und du«, erinnerte Saladin sie. »Wo bist du damals gewesen?«
    »Auch dort«, sagte sie grimmig. »Mit all den anderen verfluchten Munchkins.«
    Hinte rgäss chen . Ein Dschaina-Tempel wurde neu gestrichen, und alle Heiligen steckten zum Schutz vor Farbtropfen in Plastiksäcken. Ein Zeitungsverkäufer stellte Zeitungen voller Gräuel zur Schau: ein Zugunglück. Bhupen Ghandi begann, leise zu flüstern. Nach dem Unglück, sagte er, seien die Überlebenden ans Ufer geschwommen (der Zug war von einer Brücke gestürzt), wo Bewohner der umliegenden Dörfer auf sie warteten und sie solange untertauchten, bis sie ertrunken waren, um sie dann auszuplündern.
    »Halt den Mund«, schrie Zeeny ihn an. »Warum erzählst du ihm so etwas? Er glaubt ohnehin, dass wir Wilde sind, minderwertige Lebewesen.«
    Ein Geschäft verkaufte Sandelholz, das man in einem nahegelegenen Krischnatempel verbrennen konnte, und emaillierte rosaweiße Krischna-Augen, die alles sahen. »Viel zu viel zu sehen«, sagte Bhupen. »Das steht fest.«
     
    In einer überfüllten Dhaba, die George frequentierte, seit er aus beruflichen Gründen z u den Dadas oder Bossen Kontakt aufgenommen hatte, die den Menschenfleischhandel der Stadt betrieben, wurde dunkler Rum an Aluminiumtischen konsumiert, und etwas beschwipst fingen George und Bhupen einen Streit an. Zeeny trank Thums-Up-Cola und stellte ihre Freunde vor Chamcha bloß. »Alkoholprobleme, beide, abgebrannt wie Weihnachtskerzen, beide misshandeln ihre Frauen, sitzen in Spelunken herum, vergeuden ihr elendes Leben. Kein Wunder, dass ich mich in dich verknallt habe, Süßer, wenn die einheimischen Produkte so drittklassig sind, beginnt einem Importware zu gefallen.«
    George war mit Zeeny nach Bhopal gegangen und ließ sich nun laut über die Katastrophe aus, die er ideologisch deutete:
    »Was ist Amerika für uns?« fragte er. »Es ist kein realer Ort.
    Macht in seiner reinsten Form, körperlos, unsichtbar. Wir können sie nicht sehen, aber sie hat uns voll im Griff, es gibt kein Entrinnen.« Er verglich Union Carbide mit dem Trojanischen Pferd. »Wir haben die Scheißkerle hergeholt.« Es sei wie das Märchen von den vierzig Räubern, sagte er, die sich in ihren Amphoren versteckten und auf die Nacht warteten.
    »Unglückseligerweise hatten wir keinen Ali Baba«, rief er.
    »Wen hatten wir stattdessen ? Mr. Rajiv G.«
    In diesem Augenblick stand

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