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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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nutzen?«
    »Warum sollte ich das nicht nutzen?« äffte sie ihn nach und warf die Beine in die Luft. »Herr Schauspieler, Ihr Schnurrbart ist gerade wieder verrutscht.«
    Ach, du lieber Gott.
    Was passiert mit mir?
    Was zum Teufel?
    Hilfe.
    Weil er diese Begabung wirklich und wahrhaftig besaß, war er »Der Mann mit tausendundeiner Stimme«. Wollte man wissen, wie eine Ketchupflasche in der Fernsehwerbung sprechen sollte, war man im Zweifel über die ideale Stimme für eine Tüte Chips mit Knoblauchgeschmack, war er genau der Richtige. Er brachte Teppiche in Kaufhaus-Werbespots zum Sprechen, er imitierte Berühmtheiten, lieh gekochten Bohnen und tiefgefrorenen Erbsen seine Stimme. Im Radio konnte er das Publikum davon überzeugen, dass er Russe, Chinese, Sizilianer, der Präsident der Vereinigten Staaten war. Einmal, in einem Hörspiel für siebenunddreißig Stimmen, sprach er jede Rolle unter einem anderen Pseudonym, und niemand kam ihm je auf die Schliche. Mit seinem weiblichen Gegenstück Mimi Mamoulian beherrschte er den Äther Großbritanniens. Sie hatten sich ein so großes Stück von der Sprechertorte abgeschnitten, dass , wie Mimi sagte, »in unserer Umgebung die Monopolkommission besser nicht erwähnt werden sollte, nicht einmal zum Spaß.« Ihre Bandbreite war erstaunlich; sie vermochte jedes Lebensalter vorzugeben, an jedem Ort der Welt, jede Tonlage im Stimmregister, von der engelgleichen Julia bis zur teuflischen Mae West. »Wir sollten heiraten, wenn du wieder frei bist«, schlug ihm Mimi einmal vor. »Du und ich, wir wären die Vereinten Nationen.«
    »Du bist Jüdin«, bemerkte er. »Ich bin zu bestimmten Ansichten über Juden erzogen worden.«
    »Na und, bin ich eben Jüdin«, sagte sie achselzuckend. »Du bist derjenige, der beschnitten ist. Niemand ist vollkommen.«
    Mimi war eine winzige Person mit schwarzen Locken und sah aus wie ein Michelin-Männchen. In Bombay räkelte sich Zeenat Vakil, gähnte und verscheuchte andere Frauen aus seinen Gedanken. »Das gibt es nicht«, lachte sie ihn aus. »Sie bezahlen dich, damit du sie nachmachst, solange sie dich nicht anzusehen brauchen. Deine Stimme wird berühmt, aber sie verstecken dein Gesicht. Hast du eine Ahnung, weshalb?
    Warzen auf der Nase, schielst du, oder was? Fällt dir nichts ein, Herzchen? Dein verdammtes Salathirn, ich schwör’s dir.«
    Das stimmte, dachte er. Saladin und Mimi waren so etwas wie eine Legende, aber eine verkrüppelte Legende, dunkle Sterne. Das Kraftfeld ihrer Fähigkeiten zog Arbeit für sie an, aber sie blieben unsichtbar, legten ihre Körper ab, um sich Stimmen anzuziehen. Im Radio konnte Mimi zu Botticellis Venus werden, sie konnte Olympia sein, die Monroe, jede vermaledeite Frau, die sie wollte. Es war ihr völlig egal, wie sie aussah; sie war zu ihrer Stimme geworden, sie war steinreich, und drei junge Frauen waren hoffnungslos in sie verliebt. Sie erwarb Grundbesitz. »Eine eindeutig neurotische Verhaltensweise«, gestand sie ungeniert. »Übertriebenes Bedürfnis, Wurzeln zu schlagen aufgrund der Umwälzungen in der Geschichte der armenischen Juden. Verzweiflung aufgrund fortschreitenden Alters und kleiner, als im Hals diagnostizierter Polypen. Grundbesitz beruhigt ungemein, ich kann ihn nur empfehlen.« Sie besaß ein ehemaliges Pfarrhaus in Norfolk, ein Bauernhaus in der Normandie, einen Glockenturm in der Toskana, eine Meeresküste in Böhmen. »Alles von Geistern heimgesucht«, erklärte sie. »Gerassel, Geheul, Blut auf den Teppichen, Frauen in Nachtgewändern, alles. Niemand gibt Landbesitz kampflos auf.«
    Niemand außer mir, dachte Chamcha, und Schwermut erfasste ihn, während er neben Zeenat Vakil lag. Vielleicht bin ich schon ein Geist. Aber zumindest ein Geist mit einem Flugticket, Erfolg, Geld, einer Frau. Ein Schatten, aber einer, der in der greifbaren, stofflichen Welt lebt. Mit Vermögen.
    Jawohl.
    Zeeny strich ihm übers Haar, das sich über seinen Ohren lockte. »Ab und zu, wenn du still bist«, murmelte sie, »wenn du keine komischen Stimmen imitierst oder den großen Mann spielen willst, und wenn du vergisst , dass dich jemand beobachtet, siehst du völlig ausdruckslos aus. Weißt du das?
    Ein unbeschriebenes Blatt, niemand zu Hause. Das macht mich manchmal wütend, ich könnte dich schlagen. Um dich ins Leben zurückzuholen. Aber es macht mich auch traurig. So ein Narr bist du, der große Star, dessen Gesicht nicht die richtige Farbe für ihre Farbfernsehapparate hat, der mit irgendeiner

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