Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
Vom Netzwerk:
charakteristische Synthese hinduistischer und islamischer Philosophie in der späten Mogul-Zeit.
    Ein Riese war in einer Grube gefangen, und seine Peiniger bohrten ihm Speere in die Stirn. Ein Mann, der vom Kopf bis zur Lende aufgeschlitzt war, fiel mit dem Schwert noch in der Hand.
    Überall sprudelte Blut. Saladin Chamcha riss sich zusammen.
    »Diese Grausamkeit«, sagte er laut in seinem englischen Tonfall. »Die pure, barbarische Freude am Schmerz.«
    Changez Chamchawala ignorierte seinen Sohn, hatte Augen nur für Zeeny, die unverblümt zurückblickte. »Unsere Regierung besteht aus Banausen, junge Frau, finden Sie nicht?
    Ich habe ihnen diese ganze Sammlung umsonst, gratis angeboten, wussten Sie das? Sie sollten lediglich einen geeigneten Ort dafür bereitstellen. Der Zustand des Stoffes ist nicht gerade eins-A verstehen Sie… Sie wollen nicht. Kein Interesse. Inzwischen bekomme ich jeden Monat Angebote aus Amerika. Und was für Angebote! Sie würden es nicht glauben.
    Aber ich verkaufe nicht. Unser Erbe, meine Liebe, tagtäglich stehlen es uns die USA. Ravi-Varma-Gemälde, Chandela-Bronzen, Jaisalmaer-Gitterwerk. Wir verkaufen unser Land, nicht wahr? Sie lassen ihre Brieftaschen auf den Boden fallen, und wir gehen in die Knie. Unsere Nandi-Stiere enden in irgendwelchen texanischen Villen. Aber das wissen Sie ja alles.
    Sie wissen, dass Indien heute ein freies Land ist.« Er hielt inne, aber Zeeny wartete; es würde noch mehr kommen. Es kam auch: »Eines Tages werde ich die Dollar nehmen. Nicht wegen des Geldes. Wegen des Vergnügens, eine Hure zu sein. Zu nichts zu werden. Weniger als nichts.« Und jetzt, endlich, der wahre Sturm, die Worte hinter den Worten, weniger als nichts.
    »Wenn ich sterbe«, sagte Changez Chamchawala zu Zeeny,
    »was werde ich dann sein? Ein Paar leere Schuhe. Das ist das Schicksal, das er mir bereitet hat. Dieser Schauspieler. Dieser Heuchler. Er hat sich zu einem Imitator von Nichtexistierenden gemacht. Ich habe niemanden, der mir nachfolgt, dem ich weitergeben kann, was ich geschaffen habe. Das ist seine Rache: er stiehlt mir meine Nachkommen.« Er lächelte, tätschelte ihr die Hand, entließ sie in die Obhut seines Sohnes.
    »Ich habe es ihr erzählt«, sagte er zu Saladin. »Du trägst immer noch dein Brathuhn mit dir herum. Ich habe ihr mein Leid geklagt. Jetzt muss sie urteilen. So war es ausgemacht.«
    Zeeny Vakil ging zu dem alten Mann im viel zu großen Anzug, nahm sein Gesicht in ihre Hände und küsste ihn auf den Mund.
    Nachdem ihn Zeenat im Haus der Ausschweifungen seines Vaters verraten hatte, weigerte sich Saladin Chamcha, sie zu treffen oder die Nachrichten zu beantworten, die sie an der Hotelrezeption hinterließ. Die Laufzeit der Millionärin war zu Ende, die Tour vorbei. Zeit, nach Hause zu fahren. Nach der Abschluss feier wollte Saladin Chamcha schnell ins Bett. Im Aufzug hörte ein junges Paar, das unzweifelhaft auf Hochzeitsreise war, mit Kopfhörern Musik. Der junge Mann sagte zu seiner Frau: »Hör mal. Komme ich dir manchmal noch wie ein Fremder vor?« Das Mädchen lächelte verliebt, schüttelte den Kopf, kann nichts hören, nahm den Kopfhörer ab. Er wiederholte ernst: »Ein Fremder, komme ich dir nicht wie ein Fremder vor, manchmal?« Sie legte mit unbeirrbarem Lächeln, ihre Wange einen Augenblick an seine hohe, knochige Schulter. »Ja, ab und zu«, sagte sie und setzte den Kopfhörer wieder auf. Er tat dasselbe und schien vollauf zufrieden mit ihrer Antwort. Ihre Körper bewegten sich wieder zum Rhythmus der Musik. Chamcha verließ den Aufzug. Zeeny saß mit dem Rücken gegen die Tür gelehnt auf dem Boden.
     
    Im Zimmer schenkte sie sich einen großen Whisky-Soda ein.
    »Benimmt sich wie ein Kleinkind«, sagte sie. »Du solltest dich schämen.«
    An diesem Nachmittag hatte er ein Päckchen von seinem Vater erhalten. Es enthielt ein kleines Stück Holz und eine große Anzahl von Banknoten, nicht Rupien, sondern Pfund Sterling: sozusagen die Asche seines Walnussbaums . Er war voller unfertiger Gefühle, u nd weil Zeenat aufgetaucht war, wurde sie zu deren Zielscheibe . »Glaubst du, ich liebe dich?« sagte er mit vorsätzlicher Boshaftigkeit. »Glaubst du, ich bleibe bei dir? Ich bin ein verheirateter Mann.«
    »Ich wollte nicht, dass du meinetwegen bleibst«, sagte sie.
    »Aus irgendeinem Grund wollte ich es deinetwegen.«
    Ein paar Tage zuvor hatte er sich eine indische Dramatisierung einer Sartreschen Geschichte zum Thema
    »Scham und Schande«

Weitere Kostenlose Bücher