Die Satanischen Verse
Sauertopf? Du bist kein Engel, Herzchen, und diese Leute scheinen sich durchaus einig zu sein.«
Saladins Mund klappte auf und wieder zu. Changez tätschelte Zeenys Knie. »Er kam, um anzuklagen, Liebes. Er kam, um sich für seine Jugend zu rächen, aber wir haben den Spieß umgedreht, und jetzt ist er durcheinander. Wir müssen ihm eine Chance geben und Sie müssen der Schiedsrichter sein. Ihm erlaube ich nicht, über mich zu urteilen, aber von Ihnen werde ich das Schlimmste hinnehmen.«
Dieser Schweinebund. Der alte Schweinehund. Er wollte mich aus der Fassung bringen, und hier steh’ ich, zur Seite gedrängt. Ich werde kein Wort sagen, warum sollte ich, nicht auf diese Weise, diese Demütigung. »Es war einmal«, sagte Saladin Chamcha, »eine Brieftasche voller Pfundnoten, und es war einmal ein Brathuhn.«
Wessen klagte der Sohn den Vater an? Aller nur denkbarer Vergehen: Ausspionierung der Kindheit, Diebstahl des Regenbogenschatzes, Exilierung. Ihn zu dem gemacht zu haben, was er vielleicht nicht geworden wäre. Einen Mann aus ihm gemacht zu haben. Ihn gefragt zu haben: Was soll ich meinen Freunden sagen? Nicht wiedergutzumachender Entzweiungen und ungehöriger Vergebung. Mit neuer Frau der Allahverehrung erlegen zu sein und auch der gotteslästerlichen Verehrung von verstorbener Ehegattin. Vor allem aber des Wunderlampismus und einer zu sein, dem sich jeder Sesam öffnet. Alles war ihm mühelos zugefallen, Charme, Frauen, Reichtum, Macht, gesellschaftliche Stellung.
Reiben, puff, Geist, Wunsch, auf der Stelle Herr, Simsalabim.
Er war ein Vater, der eine Wunderlampe versprochen und sie dann vorenthalten hatte.
Changez, Zeeny, Vallabh, Kasturba verharrten reglos und still, bis Saladin Chamcha schamrot und verlegen innehielt.
»Ein solch ungestümes Gemüt nach so langer Zeit«, sagte Changez nach einer Weile. »Wie traurig. Ein Vierteljahr hundert, und noch immer missgönnt einem der Sohn die kleinen Sünden der Vergangenheit. Ach, mein Sohn. Du musst aufhören, mich wie einen Papagei auf deiner Schulter herumzutragen. Was bin ich denn? Erledigt. Ich bin nicht dein Alter Mann auf dem Meer. Schau den Tatsachen ins Gesicht, mein Lieber: Mit mir kannst du dich nicht mehr erklären.«
Durch ein Fenster erblickte Saladin Chamcha einen vierzig Jahre alten Walnussbaum . »Fäll ihn«, sagte er zu seinem Vater.
»Fäll ihn, verkauf ihn und schick mir dann das Geld.«
Chamchawala stand auf und streckte die rechte Hand aus.
Zeeny erhob sich gleichfalls und ergriff sie, wie eine Tänzerin einen Blumenstrauß entgegennimmt; augenblicklich schrumpften Vallabh und Kasturba zu Dienern, als hätte eine Uhr leise die Kürbis-Zeit, die Märchenzeit, geschlagen. »Ihr Buch«, sagte er zu Zeeny. »Ich habe etwas, das Sie interessieren wird.«
Die beiden verließen das Zimmer; nach kurzem Zögern stapfte der ohnmächtige Saladin verdrießlich hinter ihnen her.
»Sauertopf«, rief Zeeny fröhlich über die Schulter. »Ach komm, hör auf damit, werd endlich erwachsen.«
Die Kunstsammlung der Chamchawalas, die hier in Scandal Point untergebracht war, enthielt unter anderem einen Großteil der legendären Hamza-Nama Stoffbilder, Teile der Bilderfolge aus dem sechzehnten Jahrhundert, die Szenen aus dem Leben eines Helden darstellte, der vielleicht der berühmte Hamza gewesen ist oder auch nicht, Mohammeds Onkel, dessen Herz von Hind, der Frau aus Mekka, gegessen wurde, als er tot auf dem Schlachtfeld von Uhud lag. »Ich mag diese Bilder«, sagte Changez Chamchawala zu Zeeny, »weil der Held scheitern darf. Sehen Sie, wie oft er aus einer misslichen Lage befreit werden musste .« Die Bilder bestätigten beredt Zeeny Vakils These vom eklektischen, hybriden Wesen der künstlerischen Tradition Indiens. Die Moguln hatten Künstler aus allen Teilen Indiens kommen lassen, damit sie die Bilder malten; die individuelle Identität wurde unterdrückt, um einen vielköpfigen, vielpinseligen Überkünstler zu schaffen, der, buchstäblich, indische Malerei war. Die eine Hand zeichnete die Mosaikböden, eine zweite die Figuren, eine dritte malte den chinesisch aussehenden Wolkenhimmel. Auf der Rückseite der Bilder standen die Geschichten, die zu den szenischen Darstellungen gehörten. Die Bilder wurden vorgeführt wie ein Film: in die Höhe gehalten, während jemand die Geschichte des Helden vorlas. Der Hamza-Nama war ein Beisp iel für die Verschmelzung der persischen Miniaturmalerei mit dem Kannada-und Kerala-Malstil, für die
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