Die Satanischen Verse
sah, in dem seinem Vater zufolge seine Seele aufbewahrt wurde, begannen seine Hände zu zittern. Er versteckte sich hinter neutralen Tatsachen. »In Kaschmir«, erklärte er Zeeny, »ist ein Geburtsbaum eine Art Wertanlage. Wenn ein Kind volljährig wird, ist der Walnussbaum mit einer fälligen Versicherungspolice vergleichbar; es ist ein wertvoller Baum, man kann ihn verkaufen, um eine Hochzeit damit zu bezahlen oder einen Start ins Leben zu ermöglichen.
Der Erwachsene fällt seine Kindheit, um seinem großgewordenen Ich zu helfen. Dieses Fehlen von Sentimentalität ist ansprechend, findest du nicht?«
Der Wagen hielt unter der überdachten Vorhalle. Zeeny verstummte, während sie die sechs Stufen zur Eingangstür hinaufstiegen, wo sie von einem gesetzten und uralten Diener in einer weißen Livree mit Messingknöpfen begrüßt wurden, dessen weißen Haarschopf Chamcha, indem er ihn in einen schwarzen rückverwandelte, plötzlich als die Mähne ebendieses Vallabh wiedererkannte, der in den Alten Zeiten dem Haushalt als Majordomu s vorgestanden hatte. »Du liebe Güte, Vallabhbhai«, stammelte er und umarmte den alten Mann. Der Diener lächelte gezwungen. »Ich bin so alt geworden, Baba, ich habe gedacht, Sie würden mich nicht mehr erkennen.« Er führte sie durch die von Kristall schweren Gänge des herrschaftlichen Hauses, und Saladin bemerkte, dass der Mangel an Veränderung höchst auffällig war, das musste Absicht sein. Es stimme, erklärte ihm Vallabh, dass Changez Sahib nach dem Tod der Begum geschworen habe, dass das Haus ihre Gedenkstätte sein würde. Folglich war seit ihrem Todestag nichts verändert worden, Gemälde, Möbel, Seifenschalen, die Figuren kämpfender Stiere aus rotem Glas und Porzellanballerinen aus Dresden, alles war noch am gleichen Ort, dieselben Zeitungen lagen auf denselben Tischen, dieselben zusammengeknüllten Papierbälle in den Papierkörben, als ob auch das Haus gestorben und einbalsamiert worden wäre. »Mumifiziert«, sagte Zeeny und sprach damit wie immer das Unaussprechliche aus. »Du lieber Gott, das ist ja gespenstisch, nicht?« Es war in dem Augenblick, als der Diener Vallabh die Flügeltür öffnete, die in den Blauen Salon führte, dass Saladin Chamcha den Geist seiner Mutter sah.
Er stieß einen lauten Schrei aus, und Zeeny drehte sich auf dem Absatz um. »Da«, und er zeigte auf das entfernte dunkle Ende des Ganges, »kein Zweifel, dieser verdammte Zeitungssari, die dicken Schlagzeilen, der, den sie an dem Tag getragen hat, als sie, als sie -«, aber Vallabh hatte begonnen, mit den Armen zu schlagen wie ein schwacher, flügellahmer Vogel seine Flügel, verstehen Sie, Baba, es war nur Kasturba, Sie haben sie doch nicht vergessen, meine Frau, nur meine Frau. Meine Ayah Kasturba, mit der ich in den Tümpeln zwischen den Felsen gespielt habe. Bis ich groß genug war, um ohne sie zu gehen, und in einer Höhle ein Mann mit einer Elfenbeinbrille. »Bitte, Baba, kein Grund zur Aufregung, nur, als die Begum starb, schenkte Changez Sahib meiner Frau ein paar Kleidungsstücke, Sie haben doch nichts dagegen? Ihre Mutter war eine so großzügige Frau, als sie noch lebte, schenkte sie mit volle n Händen.« Nachdem Chamcha sein Gleichgewicht wiedergefunden hatte, fühlte er sich lächerlich.
»Um Gottes willen, Vallabh«, murmelte er. »Um Gottes willen.
Natürlich habe ich nichts dagegen.« Eine alte Steifheit bemächtigte sich Vallabhs; des alten Faktotums Recht auf freie Meinungsäußerung gestattete ihm, einen Tadel anzubringen:
»Entschuldigung, Baba, aber Sie sollten Gott nicht lästern.«
»Schau, wie er schwitzt«, flüsterte Zeeny weithin hörbar. »Er ist starr vor Schreck.« Kasturba betrat den Raum, und obwohl ihr Wiedersehen überaus herzlich war, lag immer noch etwas Verkehrtes in der Luft. Vallabh ging Bier und Thums Up holen, und als auch Kasturba sich entschuldigte, sagte Zeeny sofort:
» Irgendetwas ist hier faul. Sie verhält sich, als gehöre die ganze Bude ihr. Ihr Auftreten. Und der alte Mann hatte Angst.
Die zwei führen etwas im Schilde, das wette ich.« Chamcha versuchte, sachlich zu bleiben. »Sie sind hier die meiste Zeit allein, schlafen wahrscheinlich im großen Schlafzimmer und essen von den guten Tellern, kein Wunder, dass sie das Gefühl haben, es sei ihr Haus.« Aber er dachte, wie auffallend ähnlich seine Ayah Kasturba in dem alten Sari seiner Mutter sah.
»Warst so lange weg«, hörte er die Stimme seines Vaters hinter sich, » dass du
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