Die Satanischen Verse
Mistkerls.
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Kan ma kan/Fi qadim azzaman… Es war so, es war nicht so, in einer längst vergessenen Zeit, dass im Silber-Land von Argentinien ein gewisser Don Enrique Diamond lebte, ein Vogelkundler, aber kein Frauenkenner, und seine Frau Rosa, die nichts von Männern, aber eine ganze Menge von der Liebe verstand. Eines Tages, als die Señora ausritt, im Damensattel, einen Hut mit Feder auf dem Kopf, da geschah es, dass sie an den großen steinernen Toren der Diamond-Estancia, die absurderweise mitten in der leeren Pampa stand, einen Strauß erblickte, der auf sie zurannte, der um sein Leben rannte, so schnell er konnte, mit allen erdenklichen Tricks und Finten; denn der Strauß ist ein listiger Vogel und schwer zu fangen. Ein kleines Stück hinter dem Strauß schwebte eine Staubwolke voll von den Geräuschen jagender Männer, und als der Strauß bis auf zwei Meter an sie herangekommen war, sandte die Wolke Bolas aus, die sich um seine Beine wickelten und ihn zu Boden stürzten, vor die Füße ihrer grauen Stute. Der Mann, der vom Pferd stieg, um den Vogel zu töten, wandte seine Augen nicht mehr von Rosas Gesicht ab. Er nahm ein Messer mit silbernem Griff aus einer Gürtelscheide und stieß es dem Vogel in den Rachen, tief, bis zum Griff, und dabei sah er den sterbenden Strauß kein einziges Mal an, starrte nur in Rosas Augen, während er auf der lockeren gelben Erde kniete. Sein Name war Martin de la Cruz.
Nachdem Chamcha weggebracht worden war, wunderte Gibril Farishta sich oft über sein eigenes Verhalten. In diesem traumähnlichen Moment, als er vom Blick der alten Engländerin gebannt worden war, hatte er gefühlt, dass er nicht über seinen eigenen Willen bestimmen konnte, dass andere Bedürfnisse entscheidend waren. Aufgrund der verwirrenden jüngsten Ereignisse und seiner Entschlossenheit, solange wie möglich wach zu bleiben, dauerte es ein paar Tage, bevor er das, was vor sich ging, mit der Welt hinter seinen Augenlidern in Verbindung brachte, und erst dann begriff er, dass er fort musste , denn das Universum seiner Alpträume hatte begonnen, in sein normales Leben einzusickern, und wenn er sich nicht in acht nahm, würde es ihm nicht gelingen, noch einmal von vorn anzufangen, mit ihr wiedergeboren zu werden, durch sie, Alleluja , die das Dach der Welt gesehen hatte.
Es war ein Schock, als er sich darüber klar wurde, dass er keinerlei Anstalten gemacht hatte, Kontakt zu Allie aufzunehmen; oder Chamcha in seiner Not zu helfen. Nicht einmal das Phänomen auf Chamchas Kopf - ein Paar spitzer, neuer Hörner - hatte ihn erschüttert, obgleich hier tatsächlich Anlass zur Sorge bestanden hätte. Er war in einer Art Trance gewesen, und als er die alte Dame fragte, was sie von alldem halte, lächelte sie nur seltsam und sagte, es sei alles schon mal dagewesen, sie habe mancherlei Dinge gesehen, Erscheinungen von Männern mit gehörnten Helmen, in einem uralten Land wie England gebe es keinen Platz für neue Geschichten, über jeden Grashalm seien schon hunderttausend Füße gegangen. Einen Großteil der Zeit redete sie unzusammenhängendes, wirres Zeug, dann wieder bestand sie darauf, ihm gewaltige, schwere Mahlzeiten zu kochen, Shephard’s Pie aus Hackfleisch und Kartoffelbrei, Rhabarber-Streuselkuchen mit dicker Eiercreme, deftige Eintöpfe, die verschiedensten nahrhaften Suppen. Und stets trug sie dabei eine Miene von unerklärlicher Genugtuung zur Schau, als hätte sein Erscheinen sie auf tiefe, unerwartete Weise befriedigt. Er ging mit ihr ins Dorf zum Einkaufen; die Leute starrten; sie ignorierte alle, schwenkte gebieterisch ihren Stock. Die Tage vergingen. Gibril blieb.
»Verdammtes englisches Frauenzimmer«, sagte er sich.
»Die Sorte müsste doch längst ausgestorben sein. Was zum Teufel tue ich hier eigentlich?« Blieb aber, von unsichtbaren Ketten festgehalten. Während sie bei jeder Gelegenheit ein altes Lied sang, auf Spanisch , er konnte kein Wort verstehen.
Waren das etwa Zaubersprüche? War sie etwa eine uralte Morgan Le Fay, die mit ihrem Gesang den jungen Merlin in ihre Kristallhöhle lockte? Gibril ging Richtung Haustür, Rosa machte den Mund auf, er blieb abrupt stehen. »Wieso auch nicht«, meinte er achselzuckend. »Die alte Frau braucht Gesellschaft, das ist doch klar. Und wenn ich so sehe, wohin es mit ihr gekommen ist… Wie auch immer, ich brauche jedenfalls eine Ruhepause. Muss Kräfte sammeln. Nur noch ein paar Tage.«
Abends saßen sie im Salon, inmitten von lauter Zierrat
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