Die Satanischen Verse
summen, und diese Sternenmusik kam dem am nächsten, was sie als Glück empfand.
Gibril Farishta spürte, dass ihre Geschichten sich um ihn zusammenzogen wie ein Netz, das ihn in der verlorenen Welt hielt, wo wir jeden Abend fünfzig Mann am Tisch sitzen hatten, Männer waren das, unsere Gauchos, die hatten nichts Unterwürfiges, die waren wild und stolz, o ja. Die lebten nur von Fleisch, das kannst du auf den Bildern dort sehen. In den langen Nächten ihrer beider Schlaflosigkeit erzählte sie ihm von dem Hitzeschleier, der über die Pampa zog, so dass die wenigen Bäume herausragten wie Inseln und ein Reiter aussah wie ein Fabelwesen, das auf dem Meer galoppierte. Wie die Geister der See. Sie erzählte ihm Lagerfeuergeschichten, zum Beispiel von dem ungläubigen Gaucho, der die Idee vom Paradies widerlegte, indem er, als seine Mutter starb, ihren Geist beschwor, zurückzukehren, jede Nacht, sieben Nächte lang. In der achten Nacht verkündete er, offenbar habe sie ihn nicht gehört, denn sonst wäre sie gewiss gekommen, um ihren geliebten Sohn zu trösten, daher musste der Tod das Ende sein.
Sie fesselte ihn mit Schilderungen von jenen Tagen, als die Perón-Leute mit ihren weißen Anzügen und nach hinten gekämmten Haaren kamen und die Tagelöhner, die Peones, sie fortjagten, sie erzählte ihm, wie die Anglos ein Schienennetz errichteten, um ihre Estancias beliefern zu können, und auch Dämme bauten sie, erzählte neben vielen anderen die Geschichte von ihrer Freundin Claudette, »die brach jedes Männerherz, mein Lieber, hat einen jungen Ingenieur namens Granger geheiratet, womit sie die halbe Stadt enttäuschte. Und auf ging’s zu irgendeinem Damm, an dem er gerade baute, und als nächstes erfuhr sie, dass die Rebellen im Anmarsch waren, um das Ding in die Luft zu jagen. Granger zog mit seinen Leuten los, um den Damm zu bewachen, und ließ Claudette allein mit dem Hausmädchen zurück, und stell dir vor, ein paar Stunden später kam das Mädchen angelaufen, Señora , ein Hombre an der Tür, groß wie ein Haus. Ein Hauptmann der Rebellen. - ›Ihr Gatte, Madam?‹ - ›Wartet am Damm auf Sie, wie es sich gehört.‹ - ›Da er es nicht für angebracht hielt, Sie zu beschützen, wird die Revolution dies tun.‹ Und er ließ Wachen vor dem Haus aufstellen, was sagt man dazu, mein Lieber.
Aber als es zum Kampf kam, wurden beide Männer getötet, Ehemann und Rebellenführer, und Claudette bestand auf einem Doppelbegräbnis, sah die beiden Särge Seite an Seite in der Erde versinken, trauerte um beide. Da wussten wir, dass sie eine ganz Gefährliche war, trop fatale, wie? Ja, ja, trop fatale.«
In der phantastischen Gesch ichte von der schönen Claudette hörte Gibril die Musik von Rosas eigenen Sehnsüchten. In solchen Momenten ertappte er sie dabei, wie sie ihn aus den Augenwinkeln beobachtete, und spürte gleichzeitig ein Ziehen um seinen Bauchnabel, als würde irgendetwas versuchen herauszukommen, dann wandte sie den Blick ab, und das Ziehen ließ nach. Doch vielleicht war das nur eine Auswirkung der nervlichen Anspannung.
Eines Nachts fragte er sie, ob sie die Hörner gesehen hätte, die aus Chamchas Kopf gewachsen waren, aber sie stellte sich taub und erzählte, statt ihm zu antworten, wie sie damals auf einem Klapphocker am Galpón oder Stiergehege von Los Alamos gesessen hatte und wie die preisgekrönten Stiere zu ihr kamen und ihre gehörnten Köpfe in ihren Schoß legten. Eines Nachmittags ließ eine gewisse Aurora del Sol, die Verlobte von Martin de la Cruz, eine freche Bemerkung fallen: Ich dachte, die legen den Kopf nur in den Schoß einer Jungfrau, flüsterte sie deutlich vernehmbar ihren kichernden Freundinnen zu, und Rosa drehte sich zu ihr um und erwiderte freundlich: Dann würden Sie’s vielleicht gern mal probieren, meine Liebe? Von da an war Aurora del Sol, die beste Tänzerin auf der Estancia und die begehrenswerteste aller Peon-Frauen, die Todfeindin der zu großen, zu knochigen Frau aus Übersee.
»Sie sehen aus wie er«, sagte Rosa Diamond, als sie nebeneinander an ihrem nächtlichen Fenster standen und aufs Meer hinaussahen. »Sein Ebenbild. Martin de la Cruz.« Bei der Erwähnung dieses Namens fühlte Gibril einen heftigen Schmerz in seinem Nabel, einen ziehenden Schmerz, so als hätte ihm jemand einen Haken in den Bauch gestoßen, und dann löste sich ein Schrei von seinen Lippen. Rosa Diamond schien nichts zu hören. »Sehen Sie, dort«, rief sie selig.
Was da über den
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