Die Satanischen Verse
Filmzeitschriften wurden totenblass , die Augen lösten sich auf, sie verblichen. Zuletzt verschwanden seine Bilder einfach von den gedruckten Seiten, so dass an den Zeitungsständen auf den glänzenden Umschlägen von Celebrity und Society und Illustrated Weekly nichts mehr zu sehen war und die Verleger die Drucker entließen und die Qualität der Druckerschwärze verantwortlich machten. Selbst auf der Leinwand, hoch über den Köpfen seiner Anbeter im Dunkeln, begann die vermeintlich unsterbliche Physiognomie zu verwesen, Blasen zu werfen und auszubleichen; jedes Mal , wenn er durch das Filmfenster kam, blockierten die Projektoren unerklärlicherweise, die Filme kamen knirschend zum Stillstand, und die Hitze der kaputten Projektorenlämpchen verbrannte die Zelluloiderinnerung an ihn: ein Stern, zur Supernova geworden, und die alles verzehrenden Flammen nahmen sinnigerweise ihren Ausgang zwischen seinen Lippen.
Es war der Tod Gottes. Oder etwas ganz Ähnliches; hatte nicht dieses überlebensgroße Gesicht, das in der künstlichen Kinonacht über seinen Anhängern schwebte, geleuchtet wie das eines überirdischen Wesens, das irgendwo zumindest auf halbem Wege zwischen dem Sterblichen und dem Göttlichen angesiedelt war? Weiter a ls auf halbem Weg, hätten viele behauptet, denn Gibril hatte den Großteil seiner einzigartigen Karriere damit verbracht, mit absoluter Überzeugungskraft die zahllosen Gottheiten des Subkontinents in den beliebten, sogenannten »Theologicals« zu verkörpern. Es war Teil des Zaubers seiner Persönlichkeit, dass es ihm gelang, religiöse Grenzen zu überschreiten, ohne Anstoß zu erregen. Blauhäutig wie Krishna tanzte er, die Flöte in der Hand, zwischen glücklichen Gopis und ihren schwereutrigen Kühen; Handflächen nach oben meditierte er in heiterer Gelassenheit (als Gautama) über die Leiden der Menschheit unter einem rachitischen, künstlichen Bodhibaum. Bei jenen seltenen Gelegenheiten, da er vom Himmel herabstieg, ging er nie zu weit, spielte beispielsweise sowohl den Großmogul als auch dessen für seine Listigkeit berühmten Minister im Klassiker Akbar und Birbal. Über eineinhalb Jahrzehnte hatte er für hunderte Millionen von Gläubigen in diesem Land, in dem bis auf den heutigen Tag die menschliche Bevölkerung die göttliche lediglich in einem Verhältnis übersteigt, das weniger als drei zu eins beträgt, das annehmbarste und sofort erkennbare Antlitz Gottes dargestellt. Für viele seiner Fans hatte die Grenze, die den Schauspieler und seine Rolle trennt, seit langem aufgehört zu existieren.
Die Fans, ja, und? Wie stand es mit Gibril?
Dieses Gesicht. Im wirklichen Leben, auf Lebensgröße reduziert, unter gewöhnlichen Sterblichen, offenbarte es sich als eigenartig unspektakulär. Die tief herabhängenden Lider verliehen ihm bisweilen einen erschöpften Ausdruck. Er hatte zudem eine etwas derbe Nase, der Mund war zu voll, um markant zu sein, die Ohrläppchen waren lang wie die unreifen, gekerbten Früchte des Brotbaums. Ein höchst gewöhnliches Gesicht, ein höchst sinnliches Gesicht. In dem in letzter Zeit die Furchen zu erkennen waren, die seine eben erst überstandene, beinahe tödliche Krankheit gezogen hatte. Und dennoch, trotz aller Gewöhnlichkeit und Entkräftung, war es ein Gesicht, das untrennbar mit Heiligkeit, Vollkommenheit, Gnade verbunden war: Stoff, aus dem die Götter sind. Über Geschmack lässt sich nicht streiten, so ist es eben. Jedenfalls werden Sie mir beipflichten, dass es nicht so überraschend ist, wenn ein solcher Schauspieler (vielleicht jeder Schauspieler, selbst Chamcha, aber vor allem er) besessen ist von Avataras, wie dem vielgestaltigen Wischnu. Wiedergeburt: auch das ist Götterstoff.
Oder, aber, andererseits… nicht immer. Es gibt auch weltliche Wiedergeburten. Gibril Farishta wurde geboren als Ismail Najmuddin in Poona, dem britischen Poona, während der letzten Tage des Britischen Weltreiches, lange vor dem Pune des Rajneesh und so weiter (Pune, Vadodara, Mumbai; selbst Städte können heutzutage Künstlernamen annehmen). Ismail nach dem Kind, das mit dem Opfer Ibrahims zu tun hatte, und Najmuddin, Stern des Glaubens; er gab einen außerordentlichen Namen auf, als er den des Engels annahm.
Später, als die Bostan in der Gewalt der Entführer war und die Passagiere, die um ihre Zukunft fürchteten, in ihre Vergangenheit flüchteten, vertraute Gibril Saladin Chamcha an, dass er mit der Wahl des Pseudonyms auf seine Weise seine tote
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