Die Satanischen Verse
Pamela, noch im Halbschlaf, eine Dunkelmaske über den Augen, und kam herübergerollt, und er entschied sich zu antworten: »Bloß so’n Stöhner, mach dir keine Sorgen«, was ja auch schön und gut war, nur dass er sich jetzt die Sorgen allein machen musste , nackt und aufrecht im Bett sitzend, den rechten Daumen im Mund, seinen Trostspender seit der Kindheit.
Er war ein kleiner Mann, ein schmales Hemd, mit einem enormen Potential an nervöser Unruhe, was sich in seinem blassen Gesicht und den tiefliegenden Augen niederschlug; seinem bereits schütteren, aber noch schwarzen, lockigen Haar, das von seinen hektischen Händen so oft zerzaust worden war, dass es auf Kamm und Bürste überhaupt nicht mehr reagierte, sondern wild nach allen Seiten abstand und seinem Eigner ständig das Aussehen eines Mannes verlieh, der gerade erst aufgewacht, spät dran und in Eile war, und seinem liebenswert hohen, schüchternen und selbstabwertenden, aber auch abgehackten, übererregten Kichern; was insgesamt dazu beigetragen hatte, seinen Namen Jamshed in Jumpy - der Sprung-oder Schreckhafte - umzuwandeln, mit dem ihn jetzt alle Leute, selbst flüchtige Bekannte, automatisch ansprachen, das heißt, alle außer Pamela Chamcha. Saladins Frau, dachte er, während er fieberhaft am Daumen lutschte. Oder Witwe?
Oder, Gott steh mir bei, doch Saladins Frau. Er merkte, dass er Chamcha gram war. Die Rückkehr aus dem nassen Grab: das klang heutzutage doch so sehr nach Oper, dass es schon fast etwas Unanständiges hatte, etwas Böswilliges.
Als er die Nachricht gehört hatte, war er schnurstracks zu Pamela gefahren, aber sie war beherrscht und gefasst und ließ ihn eintreten in das Chaos ihres Arbeitszimmers, an dessen Wänden zwischen Plakaten mit geballten Fäusten und der Aufschrift Partido Socialista Aquarelle von Rosengärten hingen, Fotos von Freunden und ein paar afrikanische Masken, und als er sich zwischen Aschenbechern und Stapeln von The Voice und feministischen Science-Fiction-Romanen einen Weg bahnte, sagte sie trocken: »Als ich es hörte, war für mich das Überraschendste, dass ich dachte, also, eigentlich wird sein Tod nur ein ziemlich kleines Loch in mein Leben reißen.« Jumpy, der den Tränen nahe war und schier platzte vor Erinnerungen, blieb wie angewurzelt stehen und begann, mit den Armen zu rudern; in dem riesigen, sackartigen schwarzen Mantel und mit dem bleichen, schreckerfüllten Gesicht sah er aus wie ein Vampir, der unerwartet und zu seinem Entsetzen vom Tageslicht überrascht worden war. Dann sah er die leeren Whiskyflaschen. Pamela sagte, sie habe ein paar Stunden vorher mit dem Trinken begonnen; seither hatte sie sich stetig und ausdauernd und mit der Hingabe eines Langstreckenläufers durch ihre Flaschenvorräte gearbeitet. Er setzte sich neben sie auf ihre niedrige, weiche Bettcouch und bot an, für sie den Schrittmacher zu spielen. »Wenn du willst«, sagte sie und reichte ihm die Flasche.
Jetzt, da er im Bett saß, am Daumen nuckelnd statt an einer Flasche, gepeinigt von der Last des Geheimnisses und einem dicken Kater (denn fürs Trinken oder für Heimlichkeiten hatte er nie etwas übrig gehabt), fühlte Jumpy die Tränen noch einmal aufsteigen und entschloss sich, aufzustehen und etwas herumzulaufen. Sein Weg führte ihn die Treppe hinauf in Saladins Reich, in seine »Höhle«, wie er sie immer genannt hatte, einen großen Speicherraum mit Oberlichten und Fenstern und einem weiten Blick über städtische Gartenanlagen, ein Idyll aus Eichen, Lärchen, der letzten Ulme, die die Seuchenjahre überlebt hatte. Zuerst die Ulmen, jetzt wir, sann Jumpy. Vielleicht waren die Bäume eine Warnung. Er schüttelte sich, um d iese düsteren Morgengedanken zu vertreiben, und hockte sich auf den Rand von Saladins Mahagonischreibtisch. Einmal, bei einer College-Party, hatte er genauso dagehockt, auf einem Tisch mit lauter Wein-und Bierlachen, neben einem Mädchen in schwarzem Spitzen-Minikleid, purpurroter Federboa und mit Augenlidern wie Silberhelme, unfähig, den Mut aufzubringen und hallo zu sagen.
Schließlich drehte er sich doch zu ihr um und gab stotternd irgendwelche Banalitäten zum Besten , und sie warf ihm einen höchst verächtlichen Blick zu und sagte, ohne ihre schwarz lackierten Lippen zu bewegen, hier läuft nichts, Mann. Darüber hatte er sich ziemlich aufgeregt, so sehr, dass ihm herausgerutscht war, sag mal, warum sind alle Mädchen in dieser Stadt so furchtbar unhöflich?, und sie hatte, ohne
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