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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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sie dablieb, aber sie gab sich energisch. »Ich bin eine vielbeschäftigte Frau, Mr. Chamcha. Ich hab ‘ne Menge Dinge zu erledigen, ‘ne Menge Leute zu behandeln.«
    Als sie gegangen war, legte er sich zurück und lächelte zum ersten Mal seit langer Zeit. Es kam ihm nicht in den Sinn, dass seine Metamorphose sogar noch fortschreiten würde, weil er romantische Gefühle für eine schwarze Frau hegte, und bevor er Zeit hatte, solch komplizierten Gedankengängen nachzuhängen, begann der blinde Mann von nebenan wieder zu reden.
    »Ich habe Sie wohl bemerkt«, hörte Chamcha ihn sagen, »ich habe Sie bemerkt, und ich habe Ihre Freundlichkeit und Ihr Verständnis schätzen gelernt.« Saladin erkannte, dass der Mann eine feierliche Dankesrede in den leeren Raum hinein hielt, wo in seiner Vorstellung immer noch die Krankengymnastin stand.
    »Ich bin kein Mann, der Freundlichkeit vergisst . Eines Tages vielleicht werde ich imstande sein, sie zu vergelten, aber eines sollten Sie doch jetzt schon wissen: dass diese Ihre Freundlichkeit nicht vergessen, sondern in herzlicher Erinnerung behalten wird…« Chamcha hatte nicht den Mut zu rufen, sie ist nicht da, alter Mann, sie ist schon längst gegangen. Er hörte bedrückt zu, bis der Blinde schließlich einen Satz an die Luft richtete: »Darf ich hoffen, dass Sie sich vielleicht auch an mich erinnern werden? Ein bisschen ? Bei Gelegenheit?« Dann herrschte Stille, gefolgt von einem trockenen Lachen; und Chamcha hörte, wie sich jemand auf einen Stuhl setzte, schwerfällig, abrupt. Wieder die unerträgliche Stille, und endlich der Umschlag ins Lächerliche:
    »Oh«, brüllte der Monologe, »oh, wenn je ein Leib gelitten hat…!«
    Wir wollen alle hoch hinaus, aber dann verrät uns unsere Natur, dachte Chamcha; Hofnarren, die nach der Krone greifen.
    Tiefe Bitterkeit überkam ihn. Einst war ich leichter, glücklicher, warm. Jetzt fließt schwarzes Wasser in meinen Adern. Immer noch keine Pamela. Scheißeg al. In dieser Nacht erklärte er dem Mantikor und dem Wolf, dass er mitmachen würde, hundertprozentig.
     
    Die große Flucht fand ein paar Nächte später statt, als Saladins Lungen dank der Dienste von Miss Hyacinth Phillips vollständig vom Schleim befreit waren. Wie sich herausstellte, handelte es sich um eine gut organisierte Angelegenheit in ziemlich großem Stil, die nicht nur die Insassen des Krankensaals betraf, sondern auch die nebenan hinter Drahtgittern in U-Haft gehaltenen Detenus, wie der Mantikor sie nannte. Da er nicht zu den großen Flucht-Planern gehörte, blieb Chamcha, wie abgesprochen, am Bettrand sitzen, bis Hyacinth ihm Bescheid gab, und dann rannten sie hinaus, aus dem Krankensaal der Alpträume in die Klarheit der kalten, mondhellen Nacht, vorbei an mehreren gefesselten, geknebelten Männern: ihren vormaligen Wärtern. Es waren viele schattenartige Gestalten, die durch die leuchtende Nacht liefen, und Chamcha erhaschte immer wieder einen Blick auf Wesen, wie er sie sich nie hätte vorstellen können, Männer und Frauen, von denen manche halbe Pflanzen waren oder riesige Insekten oder sogar teilweise aus Ziegeln oder Steinen bestanden; es gab Männer mit Rhinozeroshörnern anstelle von Nasen und Frauen mit langen giraffenartigen Hälsen. Die Monster liefen schnell, schweigend bis zum Rand des Gefängniskomplexes, wo der Mantikor und andere scharfzahnige Mutanten bei den großen Löchern standen, die sie in das Gitter des hohen Zaunes gebissen hatten, und dann waren sie draußen, frei, und konnten ihrer Wege gehen, ohne Hoffnung, aber auch ohne Scham. Saladin Chamcha und Hyacinth Phillips liefen Seite an Seite; seine Ziegenhufe machten klipp - klapp auf dem harten Pflaster: nach Osten, sagte sie zu ihm, und er hörte, wie seine eigenen Schritte das Klingeln in seinen Ohren ersetzten, und nach Osten liefen sie, durch die unbeleuchteten, unbewachten Straßen nach London.

4

    Durch »schieren Zufall«, wie sie es später nannte, wurde Jumpy Joshi in der Nacht Pamela Chamchas Geliebter, in der sie vom Tod ihres Mannes bei der Bostan-Explosion erfuhr, so dass die Stimme seines alten Collegefreundes Saladin, die da mitten in der Nacht aus dem Jenseits mit ihm sprach und sechs Worte stammelte: Entschuldigen sie bitte, hab’ mich verwählt -
    und das weniger als zwei Stunden, nachdem Jumpy und Pamela, nach Genuss von zwei Flaschen Whisky, das Tier mit den zwei Rücken gemacht hatten -, ihn in eine ganz vertrackte Lage brachte. »Wer war denn das?« fragte

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