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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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, noch während sie träumte, dass es keinen Sinn hatte, ihm das jetzt zu sagen.
     
    Nachdem Pamela ihn hinausgeworfen hatte, ging Jumpy Joshi zu Mr. Sufyans Café Shaandaar in der Brickhill High Street und setzte sich, um zu überlegen, ob er wirklich ein Idiot war. Es war früh am Tag und das Café noch fast leer, abgesehen von einer dicken Dame, die eine Schachtel Pista Barfi und Jalebis kaufte, ein paar unverheirateten Textilarbeitern, die Chaloo Chai tranken, und einer älteren Polin, die aus jenen Tagen stammte, als die Juden noch die Nähstuben in der Gegend betrieben, und die den ganzen Tag lang mit zwei Gemüse-Samosas, einem Puri und einem Glas Milch in der Ecke saß und jedem, der hereinkam, verkündete, dass sie bloß da war, weil »es fast so gut ist wie koscheres Essen und man immer versuchen sollte, was Gutes zu kriegen«. Jumpy setzte sich mit einem Kaffee unter das schauderhafte Gemälde einer barbusigen Sagengestalt mit mehreren Köpfen und Wolkenstreifen, die ihre Brustwarzen verbargen, lebensgroß und in Lachsrosa, Neongrün und Gold ausgeführt, und weil noch kein Hochbetrieb herrschte, fiel Mr. Sufyan auf, dass er niedergeschlagen war.
    »He, Sankt Jumpy«, rief er laut, »du machst ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter. Regnet s in diesem Land nicht sowieso schon genug?«
    Jumpy wurde rot, als Sufyan zu ihm herübergelaufen kam, der die kleine weiße Gebetsmütze wie üblich an der richtigen Stelle befestigt hatte und den Backenbart seit der kürzlichen Pilgerfahrt nach Mekka hennarot färbte. Muhammed Sufyan war ein stämmiger Bursche mit dicken Unterarmen und einem mächtigen Bauch, ein ü beraus gottesfürchtiger und un fanatischer Gläubiger; und für Joshi war er so etwas wie ein älterer Verwandter. »Hör mal, Onkel«, sagte er, als der Café -Besitzer sich zu ihm beugte, »hältst du mich auch für einen echten Idioten oder was?«
    »Kommst du hin und wieder mal zu Geld?« fragte Sufyan.
    »Ich doch nicht, Onkel.«
    »Machst du hin und wieder mal Geschäfte? Import-Export?
    Im Stehausschank? Im Laden an der Ecke?«
    »Ich hab nie was von Zahlen verstanden.«
    »Und wo ist deine Familie?«
    »Ich hab’ keine Familie, Onkel. Ich bin ganz allein.«
    »Dann wirst du wohl ständig zu Gott beten, dass er dir in deiner Einsamkeit beisteht?
    »Du kennst mich doch, Onkel. Ich bete nicht.«
    »Keine Frage«, meinte Sufyan abschließend. »Du bist sogar ein noch größerer Idiot, als du denkst.«
    »Danke, Onkel«, sagte Jumpy und trank seinen Kaffee aus.
    »Du warst mir eine große Hilfe.«
    Sufyan, wohl wissend dass sein liebevoller Spott den anderen aufheiterte, auch wenn er ein langes Gesicht zog, rief ein paar Worte zu dem hellhäutigen blauäugigen Asiaten hinüber, der da gerade - in einem flotten Kaschmirmantel mit extrabreiten Revers - eingetreten war. »He, Hanif Johnson«, rief er, »komm her, du sollst ein Rätsel lösen.« Johnson, ein cleverer Anwalt, ein Junge aus der Gegend, der es zu etwas gebracht hatte und direkt über dem Café Shaandaar ein Büro hatte, riss sich von Sufyans zwei schönen Töchtern los und steuerte auf Jumpys Tisch zu. »Erklär du mir diesen Kerl«, sagte Sufyan. »Bei dem komm’ ich nicht mit. Trinkt nicht, hält Geld für eine Krankheit, besitzt vielleicht zwei TShirts und keinen Videorecorder, ist vierzig Jahre alt und nicht verheiratet, arbeitet für ‘ne halbe Rupie im Sportcenter als Lehrer für Kampfsportarten und sonst was, lebt von Luft, benimmt sich wie ein Rishi oder Pir, aber hat keinen Glauben, macht keine P läne, aber sieht aus, als würde er ein Geheimnis kennen. Das alles und eine Collegeausbildung, werd’ du da mal schlau draus.«
    Hanif Johnson schlug Jumpy auf die Schulter. »Er hört Stimmen«, sagte er. Sufyan warf seine Hände in gespielter Überraschung hoch. »Stimmen, hoppla, Baba. Stimmen von woher? Telefon? Himmel? Sony Walkman, unterm Mantel versteckt?«
    »Innere Stimmen«, sagte Hanif ernst. »Oben auf seinem Schreibtisch liegt ein Stück Papier, und darauf stehen ein paar Verse. Der Titel heißt: Fluss aus Blut.«
    Jumpy sprang auf, stieß seine l eere Tasse um. »Ich schlag’ dich tot«, schrie er Hanif an, der schnell durch den Raum lief und dabei laut rief: »Wir haben einen Dichter in unseren Reihen, Sufyan Sahib. Mit Respekt zu behandeln. Mit Vorsicht zu genießen. Er sagt, eine Straße ist ein Fluss , und wir sind das, was dahinströmt; die Menschheit ist ein Fluss aus Blut, das ist der Standpunkt des Dichters. Und

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