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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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einem ›illallah‹ geantwortet.«
    Gibril merkte, dass sein Platzwechsel innerhalb des Abteils und die unabsichtliche Nennung von Allies ungewöhnlichem Namen bei seinem Mitreisenden den irrtümlichen Eindru ck eines sowohl sozialen als auch theologischen Annäherungsversuches erweckt hatte. »John Maslama«, schrie der Bursche, riss eine Karte aus einer kleinen krokodilledernen Brieftasche und drängte sie Gibril auf. »Ich persönlich lebe meine eigene Version des universellen Glaubens, wie ihn Kaiser Akbar entwickelt hat. Gott, würde ich sagen, ist so etwas ähnliches wie die Musik der Sphären.«
    Es war offenkundig, dass Mr. Maslama vor Mitteilungsdrang platzte und dass es jetzt, da er geplatzt war, keine andere Möglichkeit gab, als das Ganze auszusitzen, zuzulassen, dass die reißende Sturzflut ihren lautstarken Lauf nahm. Da der Bursche die Statur eines Berufsboxers hatte, schien es nicht ratsam, ihn zu verärgern. In seinen Augen entdeckte Farishta den Glanz des wahrhaft Gläubigen, ein Leuchten, das ihm bis vor kurzem jeden Tag aus seinem Rasierspiegel entgegengeblickt hatte.
    »Ich habe es ziemlich weit gebracht, Sir«, prahlte Maslama in seinem gut modulierten Oxford-Englisch. »Ganz besonders für einen dunkelhäutigen Menschen, wenn man die genaueren Umstände bedenkt, unter denen wir heute leben - Sie gestatten, dass ich das so sage.« Mit einer kleinen, aber vielsagenden Bewegung seiner dicken Patschhand deutete er den Reichtum seiner Aufmachung an: des maßgeschneiderten dreiteiligen Nadelstreifenanzugs, der goldenen Taschenuhr mit Kette, der italienischen Schuhe, der wappenverzierten Seidenkrawatte, der juwelenbesetzten Manschettenknöpfe an seinem gestärkten weißen Hemd. Über diesem Kostüm eines englischen Lords erhob sich ein Kopf von erstaunlicher Größe, bedeckt mit dickem, angekla tschten Haar und unglaublich üpp ig wuchernden Augenbrauen, unter denen die wilden Augen blitzten, die Gibrils Aufmerksamkeit nicht entgangen waren.
    »Ziemlich ausgefallen«, räumte Gibril ein, denn offensichtlich war irgendeine Antwort gefordert. Maslama nickte. »Ich habe«, gestand er, »schon immer zum Dekorativen geneigt.«
    Er hatte seinen ersten Batzen, wie er sich ausdrückte, mit der Produktion von einprägsamen Werbeliedchen verdient, »mit diesem teuflischen Gedudel«, das Frauen auf Unterwäsche und Lippenstift scharf machte und Männer in Versuchung führte.
    Jetzt besaß er Schallplattenläden überall in der Stadt, einen gutgehenden Nachtclub namens Hot Wax und einen Laden voll glänzender Musikinstrumente, der sein ganzer Stolz war. Er war ein Inder aus Guyana, »aber dort ist nichts mehr los, Sir.
    Die Leute hauen schneller ab, als Flugzeuge fliegen können.«
    Dass er es so rasch so weit gebracht hatte, lag an der »Gnade Gottes des Allmächtigen. Ich bin ein regelmäßiger Kirchgänger, Sir, ich gebe zu, dass ich eine Schwäche für das englische Gesangbuch habe; ich singe immer aus voller Kehle.«
    Seine Autobiografie schloss mit einer kurzen Bemerkung über die Existenz einer Ehefrau und etwa eines Dutzends Kinder.
    Gibril äußerte seine Glückwünsche und hoffte auf anschließende Ruhe, aber jetzt ließ Maslama seine Bombe platzen. »Sie brauchen mir nichts über sich zu erzählen«, sagte er jovial. »Natürlich weiß ich, wer Sie sind, selbst wenn man nicht erwartet, eine so bedeutende Persönlichkeit auf der Strecke Eastbourne - Victoria zu treffen.« Er zwinkerte anzüglich und legte einen Finger an die Nase. »Diskretion Ehrensache. Ich respektiere das Privatleben eines jeden Menschen, das ist gar keine Frage, überhaupt keine Frage.«
    »Ich? Wer bin ich?« Gibril war völlig perplex. Der andere nickte gewichtig; seine Augenbrauen bewegten sich wie biegsame Geweihe. »Das ist meiner Meinung nach die Preisfrage. Sir, es sind schwierige Zeiten für einen Menschen mit Moral. Wenn ein Mensch nicht sicher ist, was sein innerstes Wesen ausmacht, wie soll er dann wissen, ob er gut oder schlecht ist? Aber Sie finden mich bestimmt langweilig. Ich beantworte meine eigenen Fragen durch meinen Glauben an das Eine, Sir -« hier deutete Maslama hoch zur Decke des Eisenbahnabteils, »und natürlich sind Sie sich überhaupt nicht im unklaren über Ihre Identität, denn Sie sind der berühmte, um nicht zu sagen legendäre Mr. Gibril Farishta, Star der Leinwand und zunehmend, wie ich leider hinzufügen muss , auch der Raubkopien; meine zwölf Kinder, meine Frau und ich sind alle eingefleischte,

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