Die Satansbraut
derartiges Arrangement ihm einfach zu kaltblütig, zu konstruiert vorkam. Er hatte einfach keine Lust, sich erwartungsgemäß zu verhalten, obwohl er über seine eigene Eitelkeit lachen mußte.
Die drei Männer ritten am Freitagabend um neun nach Camille Hall. Die Dunkelheit brach gerade herein, der Mond stand strahlend am Himmel, und die Sternenpracht überwältigte Ryder noch genauso wie in der ersten Nacht.
Die Lichter von Camille Hall waren schon von weitem zu sehen. Trotz des katastrophalen Zustands der Hauptstraße waren manche Gäste in Kutschen gekommen; ferner wurden mindestens drei Dutzend Pferde von einem Dutzend kleiner Jungen in der Nähe des Herrenhauses bewacht, wo alle Verandatüren weit geöffnet waren.
Ryder sah sie sofort. Sie stand neben einem älteren Herrn am Eingang, in einem jungfräulich weißen Kleid, das ihre Schultern frei ließ, die kastanienbraunen Haare hochgesteckt, bis auf zwei dicke Strähnen, die über ihre nackten Schultern fielen. Ryder betrachtete sie und schmunzelte gerade vor sich hin, als sie aufschaute. Er sah, daß sie sich versteifte, und ihm kam zu Bewußtsein, daß es wohl ein ziemlich verächtliches Lächeln war. Sofort setzte er eine neutrale Miene auf und entspannte sich. Schließlich konnte es ihm völlig egal sein, ob sie mit jedem Mann auf der Insel schlief. Es spielte überhaupt keine Rolle.
Er ging neben einem völlig hingerissenen Samuel Grayson auf sie zu. Bei genauerer Betrachtung stellte er fest, daß sie nicht die göttliche Schönheit war, für die Grayson sie hielt. Sie sah viel älter als neunzehn aus, hatte schöne klare graue Augen und eine sehr helle Haut. Aber sie war viel stärker geschminkt, als es sich für ein Mädchen ihres Alters gehörte. Man hätte sie eher für eine Londoner Schauspielerin oder Opernsängerin halten können als für eine junge Dame der Gesellschaft bei einem Ball in ihrem eigenen Heim. Ihre Lippen waren tiefrot, die Augen mit
Khol umrandet und die Brauen mit Khol nachgezogen; hinzu kam noch Rouge auf den Wangen und eine dicke Schicht weißen Puders. Warum ließ ihr Onkel es zu, daß sie in seinem eigenen Haus wie eine Hure aussah? Und dieses verdammte jungfräulich weiße Kleid setzte allem die Krone auf. Fast könnte man glauben, daß sie sich über ihren Onkel, über alle Gäste, ja vielleicht sogar über sich selbst lustig machen wollte.
Ryder ließ die Vorstellung über sich ergehen und griff nach ihrer Hand, drehte sie um und berührte mit den Lippen ihr Handgelenk. Sie zuckte zusammen, und er ließ ihre Hand langsam, ganz langsam wieder los.
Theodore Burgess war von ganz anderem Schlag. Groß und sehr hager, mit freundlichem Gesicht, aber energischem Kinn, machte er einen ungewöhnlich gehemmten Eindruck. Die unpassende Aufmachung seiner neunzehnjährigen Nichte schien er überhaupt nicht zu bemerken. Sein Händedruck war ziemlich kraftlos, aber er begrüßte Ryder überaus herzlich. »Es ist mir ein Vergnügen, Sir, ein großes Vergnügen. Mr. Grayson hat oft von den Sherbrookes gesprochen, von seiner hohen Wertschätzung für Ihre Familie. Sie sind uns hier mehr als willkommen, Sir. Gewiß werden Sie mit meiner reizenden Nichte tanzen wollen?«
War der Kerl ein totaler Schwachkopf? Oder war er blind?
Die reizende Nichte sah wie eine bemalte Nutte aus. Trotzdem wandte Ryder sich ihr höflich zu. »Möchten Sie dieses Menuett tanzen, Miss Stanton-Greville?«
Sie nickte wortlos, ohne zu lächeln, und legte ihre Hand auf seinen Unterarm.
Ihm fiel auf, daß sie Emile völlig ignoriert hatte, und dieses eigenartige Benehmen stachelte seine Neugier nur noch weiter an. Dieses mysteriöse Geschöpf faszinierte ihn.
»Ich habe gehört, daß Sie und Emile seit Jahren gut mit-einander bekannt sind«, sagte er, bevor die vorgeschriebenen Schritte des Menuettes sie voneinander trennten.
Als sie wieder zusammenkamen, sagte sie »Ja«. Nichts weiter, nur dieses kurze, ausdruckslose »Ja«.
»Man wundert sich«, stichelte er, »warum jemand einen alten Freund plötzlich einfach ignoriert. Wirklich seltsam.«
Es dauerte einige Minuten, bis er ihre Hand wieder umfaßte, und auch da äußerte sie nur: »Wundern kann man sich vermutlich über viele Dinge.« Das war alles. Verfluchte Göre!
Das Menuett endete, und Ryder stellte erleichtert fest, daß er nicht schwitzte. Grayson hatte die Wahrheit gesagt. Der Ballsaal erstrahlte zwar im Lichte unzähliger Kandelaber, war aber nichtsdestotrotz angenehm kühl, denn die vielen
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