Die Satansbraut
so mütterliche Geste nicht schätzte. Jeremy entwand sich ihr denn auch und rannte aus dem Zimmer. »Komm jetzt, Sophie!«
Sie blieb auf der untersten Treppenstufe stehen und bekam rasendes Herzklopfen. In der großen offenen Halle stand Ryder Sherbrooke, und er sah vom Scheitel bis zur Sohle wie ein englischer Gentleman aus dem Bilderbuch aus.
Onkel Theo hatte ihn soeben hereingebeten.
Ryder zwinkerte mehrmals, als er sie sah. Das Flittchen in der roten Robe vom Vorabend hatte keine Ähnlichkeit mit diesem jungen Mädchen, das ihn mit offenem Munde anstarrte, so als wäre er der Teufel höchstpersönlich, der sie in den vierten Kreis der Hölle zu bringen gedachte.
Theo Burgess drehte sich in diesem Moment um und schnitt unwillkürlich eine Grimasse. Verdammt, das Mädchen sah ja wie eine fünfzehnjährige Jungfrau aus. Am liebsten hätte er sie auf der Stelle verprügelt, weil sie nicht seinen Wünschen entsprechend zurechtgemacht war. Daß Ryder Sherbrooke völlig unerwartet aufgetaucht war, ließ er in seiner Wut völlig außer Acht.
»Hallo, Sophie«, sagte Ryder ganz gelassen. »Ihr Onkel hat mich soeben zum Abendessen eingeladen. Ah, und wer ist das hier?«
»Ich bin Jeremy, Sir, Sophies Bruder.«
Er humpelte mit ausgestreckter Hand auf Ryder zu.
Ryder schüttelte ihm lächelnd die Hand. »Guten Abend, Jeremy. Ich wußte gar nicht, daß Sophie einen so großen jüngeren Bruder hat.«
»Sophie sagt, ich würde schneller als Sumpfgras wachsen. Ich bin neun Jahre alt, Sir.«
»Er ist ein guter Junge«, sagte Theo mürrisch.
Sophie stand immer noch wie angewurzelt da. Würde Ryder voller Mitleid oder Verachtung auf Jeremy herabsehen? Sie kannte beide Reaktionen, und beide waren gleichermaßen schrecklich. Bisher hatte Ryder sich wie ein vollendeter Gentleman benommen, aber sie traute ihm nicht über den Weg. Vielleicht war ihm noch nicht aufgefallen, daß Jeremy nie so perfekt aussehen würde wie er selbst.
Jeremy strahlte den Mann an, in dem er auf den ersten Blick einen Gentleman erkannt hatte. Er war jung, sah gut aus und war gut gekleidet, und er hatte ein sehr sympathisches Lächeln, das auch seine Augen mit einschloß. Jeremy begriff auch, daß der Besucher wegen Sophie hier war, und er drehte sich nach seiner Schwester um und rief: »Er bleibt zum Abendessen, Sophie. Ist das nicht herrlich?«
»Ja.« Sophie rang sich ein gespenstisches Lächeln ab. »Es ist herrlich.«
Die Ähnlichkeit der Geschwister fiel Ryder genauso auf wie die Tatsache, daß der Junge ein lahmes linkes Bein hatte, wahrscheinlich einen Klumpfuß. Das war natürlich ein Jammer, aber es schien ihm nicht viel auszumachen. Auf dem Weg ins Eßzimmer plauderte er angeregt mit Ryder, der ihn amüsant und intelligent fand. Jeremy erinnerte ihn sehr an Oliver. Ah, wie er Oliver und die anderen Kinder vermißte!
Theo Burgess versuchte Jeremy zur Ruhe zu bringen, aber es gelang ihm nicht. Allem Anschein nach hatte er den Jungen wirklich gern, denn er befahl ihm nicht, still zu sein, sondern schüttelte nur den Kopf und lächelte Ryder zu, so als wollte er sagen: Was soll ich machen?
Sophie sagte kein Wort.
»Meine Schwester ist die beste Reiterin in der ganzen Gegend«, berichtete Jeremy stolz. »Vielleicht sogar von ganz Jamaika, aber ich bin noch nie in Kingston gewesen, und deshalb weiß ich das nicht genau.«
»Danke, Jeremy.« Sophie lächelte ihrem Ritter zu, und Ryder hielt unwillkürlich den Atem an, als er dieses wunderschöne, ganz natürliche Lächeln sah. Es brachte ihr Gesicht zum Leuchten und ließ es ungemein liebreizend erscheinen.
Ihm ging durch den Kopf, daß dies das erste nicht aufgesetzte Lächeln gewesen war, das er von ihr gesehen hatte, und es war verwirrend.
Was zum Teufel ging hier eigentlich vor?
Er betrachtete die köstlichen Garnelen mit Ananas auf seinem Teller, spießte eine auf und kaute nachdenklich. Der Junge erzählte gerade, was er mit Thomas auf den Feldern erlebt hatte.
Sophie fiel auf, daß Jeremy diesmal nichts vom Auspeitschen der Sklaven erwähnte.
Als Dessert gab es eine Mangotorte mit warmer Sahne, und der aromatische schwarze Kaffee schmeckte wie immer einfach herrlich.
Ryder ließ sich Zeit. Er hatte seine Freude an dem Jungen und schüttelte ihm herzlich die Hand, als er ins Bett geschickt wurde. Theo Burgess fragte, ob sie sich nicht auf die Veranda setzen sollten, wo es viel kühler sei, und Ryder stimmte bereitwillig zu. Jeder Mann, den er bisher auf Jamaika kennengelernt
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