Die satten Toten: Ein Fall für Karl Kane (Band 2) (German Edition)
Ivana. Wir sind beide deine Freunde und helfen dir. Okay?«
Ivana nickte und atmete tief durch. »Vor Jahren, als ich noch ein junger Mann namens Frankie Gilmore war, arbeitete mein Vater als Wildhüter für eine sehr reiche Familie aus der Malone Road, Hannah, hießen die. Die Familie Hannah, Vater, Mutter und Sohn, besaß Hunderte Hektar Waldgebiete am Rande von Belfast. Margaret, die Mutter, hatte das Vermögen von ihren Eltern geerbt, prominenten Pferdezüchtern, die ursprünglich aus Schottland kamen. Paul, der Vater, war ein bekannter und angesehener Chirurg.«
»Du meinst doch nicht etwa Sir Paul Hannah?«, unterbrach Karl, »den ehemaligen Leiter der Chirurgie des Royal Victoria Hospital?«
»Doch … genau das ist er. Natürlich wollte er, dass sein Sohn Robert – oder Bobby, wie wir ihn nannten – in seine Fußstapfen treten sollte, aber leider hatte Bobby rein gar kein Interesse an der Medizin –
zu der Zeit
–, sondern wollte lieber ein eigenes Hollywood-Filmstudio besitzen oder sich als Amateurzauberer versuchen, sehr zum Missfallen seiner Eltern.«
Karl und Ivana beugten sich beide näher zu Ivana, als könnten sie ihre Worte nur schwer verstehen.
»Bobby war ein … seltsamer Junge, ein Einzelgänger«, fuhr Ivana fort. »Man sah ihn nie ohne seine Filmkamera, er gab sich immer als großer Regisseur aus und langweilte alle in seiner Umgebung zu Tode. Zu meinem Pech zwang mein Vater mich am Wochenende, mit ihm zu spielen, weil er dachte, damit würde er sich den Job als Wildhüter sichern.«
»Das muss schrecklich für dich gewesen sein, Ivana«, sagte Naomi und hielt Ivanas Hand.
»Anfangs war es gar nicht so schlimm, Süße. Bobby war ein unerträglicher Langweiler, aber er hatte jede Menge Geld und brachte immer eimerweise Süßigkeiten und Cremetörtchen mit, mit denen er mich für sich einnehmen wollte. Er war ziemlich pummelig – wie seine Mutter – und verschlang das meiste immer selbst. Ich war zwar ein großer Süßschnabel, aber angesichts seiner Essgewohnheiten ist mir immer alles vergangen. Als würde man einem gefräßigen kleinen Schwein zusehen, das sich mit den Zähnen durch die Törtchen fraß und die Creme im Gesicht verschmierte.« Ivana hielt eine Hand vor den Mund und hustete laut. »Ihr findet es vermutlich anmaßend, dass ich so über jemanden rede.«
»Herrgott noch mal, Ivana, du hast mich schon mit schlimmeren Schimpfworten bedacht als gieriges, gefräßiges Schwein«, sagte Karl ungeduldig, »also halten wir uns nicht mit Kinderkram auf. Was kannst du uns noch über den verfressenen Bob sagen?«
»Karl hat recht, Ivana«, sagte Naomi. »Als Kinder waren wir vermutlich alle kleine Rotznasen, die sich gegenseitig gehänselt haben.«
»Danke, Süße, obwohl ich mir kaum vorstellen kann, dass das auch auf dich zutrifft. Du warst ganz bestimmt so lieb, wie du heute bist. Jedenfalls waren wir eines Tages im Keller ihres großen Hauses, er filmte mit seiner Kamera oder führte Zauberkunststückchen vor, als plötzlich alle Lichter ausgingen. Kurzschluss, oder so. Bob meldet sich freiwillig, eine Taschenlampe zu holen. ›Nimm das‹, sagte er. Ich streckte in der Dunkelheit die Hand aus, und er drückte mir seinen Zauberstab hinein. Aber es war nicht sein Zauberstab, sondern sein Schwanz.«
Karl fiel beinahe vom Stuhl.
»Damals habe ich zum ersten Mal einen echten Schwanz berührt«, sagte Ivana. »Ich meine, ich hatte natürlich meinen berührt – bevor ich ihn wegschnippeln ließ –, aber da fasste ich zum ersten Mal den eines anderen
Jungen
an. Es war aufregend, wie Magie; es machte mich frei, und plötzlich brachen sich all die Gefühle, die ich bis dahin unterdrückt hatte, Bahn. Die Lüge, mit der ich lebte, stürzte in sich zusammen, und ich merkte, dass ich Jungs mochte, dass ich gern ihre Schwänze anfasste und lutschte.«
»Ah. Das ist wunderbar, Ivana«, bemerkte Naomi fast mütterlich, als hätte sie gerade die schönste Liebesgeschichte aller Zeiten gehört. »Die meisten Jungs machen in ihrem Leben so eine Phase durch, aber bei dir war es vermutlich eine Berufung. Ist es nicht so, Karl?«
Karl saß reglos, starr und erschrocken auf seinem Stuhl, weil ihn Ivanas brutale Offenheit einen Moment aus der Fassung gebracht hatte. Er wünschte sich, Naomi würde ihn nicht ständig ansprechen. Er fand die Vorstellung, einen Schwanz zu lutschen, auch wenn sich, wie bei Ivana, jetzt eine Vagina dort befand, durch und durch abstoßend. Herrgott, er
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