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Die satten Toten: Ein Fall für Karl Kane (Band 2) (German Edition)

Die satten Toten: Ein Fall für Karl Kane (Band 2) (German Edition)

Titel: Die satten Toten: Ein Fall für Karl Kane (Band 2) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Millar
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abscheuliches Zeugnis dessen, was der Mensch anderen Menschen anzutun in der Lage ist. Schätzungsweise fünfundzwanzigtausend Menschen hatten hier eingesessen, teils wegen begangener Straftaten, teils als politische Gefangene.
    Die offizielle Geschichte des Gefängnisses hatte im März 1846 begonnen, als einhundertsechs Häftlinge – Männer, Frauen und Kinder – vom Gefängnis in Carrickfergus dorthin zwangsverlegt worden waren. Als jüngster Insasse wurde ein zehnjähriger Knabe in dem Gefängnis gehängt, Patrick Magee, des schrecklichen Verbrechens angeklagt, dass er ein Hemd gestohlen hatte. Zu den prominentesten Insassen gehörten der irische Präsident Éamin de Valera und Ian Paisley, ein weiterer potenzieller irischer Präsident.
    Fast fünf Minuten verbrachte das Trio reglos, in stummer Kontemplation, als würden sie vor den Toren des Hades auf eine gottlose Abordnung warten.
    Eine ältere Frau auf der anderen Straßenseite beobachtete sie aus dem Schlafzimmerfenster ihres Hauses. Ohne Gebiss wirkte ihr Gesicht wie nach innen gestülpt, während sie unablässig vor sich hin murmelte, bis sie am Ende verschwand.
    »Neugierige alte Vettel«, zischte Willie. »Hat wohl nichts Besseres zu tun, als ihre krumme Nase in anderer Leute Angelegenheiten zu stecken. Ich hasse solche Leute.«
    »Dieses Gefängnis sieht aus wie aus einem Roman von Charles Dickens«, sagte Karl.
    »Kein Ort für Weicheier, das dürft ihr mir glauben«, sagte Willie. »Die alte Bude wurde 1846 erbaut und war, ob ihr es glaubt oder nicht, eines der fortschrittlichsten Gefängnisse seiner Zeit. Siebzehn Gefangene wurden hinter diesen Mauern hingerichtet. Man sagt, dass man ihre Geister heute noch nachts heulen hören kann. Es hat vier Flügel, jeder vier Stockwerke hoch. Alles in allem sind es sechshundertundvierzig Zellen.«
    »Du weißt ja ziemlich gut Bescheid«, sagte Brendan.
    »Ich habe vor Jahren neun Monate in dem Drecksloch abgesessen«, prahlte Willie. »Ich kenne seine Geschichte in- und auswendig.«
    »Neun Monate? Das muss schrecklich gewesen sein«, sagte Brendan.
    »Das kannst du laut sagen. Nichts für Schwächlinge. Wenn ihr mich jetzt entschuldigen wollt, ich habe zu arbeiten.«
    »Wenn mir jemand gesagt hätte, dass ich eines Tages ins Crum einbrechen würde …«, sagte Brendan zu Karl, während er Willie zusah, wie der sich an dem mittelalterlichen Schloss im Seitentor des Gefängnisses zu schaffen machte.
    Karl sagte nichts, sondern sah nervös die unheimlich verlassene Straße hinauf und hinunter und hielt nach Streifenwagen Ausschau.
    Inzwischen regnete es allerdings so heftig, dass er kaum noch etwas erkennen konnte.
    »Ich kann das verdammte Schloss kaum sehen«, beschwerte sich Willie, der ein dünnes, nadelförmiges Werkzeug in die Öffnung des Schlosses einführte, während ihm schmutziges Regenwasser auf die Hände prasselte. »Können wir nicht kurz die Taschenlampe anmachen?«
    »Nein. Das würde die Polizei wie Motten anziehen«, sagte Brendan. »Und wenn die kommen, müssen wir nicht mehr einbrechen. Die bitten uns dann persönlich rein.«
    »Lass dir ruhig Zeit, Willie«, sagte Karl aufmunternd und brach damit sein eigenes Schweigen. »Du hast doch schon unter ganz anderen Bedingungen gearbeitet.«
    »Was du nichts sagst. Ich erinnere mich, wie mich ein Klient einmal fragte, ob ich direkt neben einem Polizeirevier einbrechen könnte. Ha! Das waren die guten alten Zeiten, als man …«
    »Wir können in Erinnerungen schwelgen, wenn wir drinnen sind«, sagte Brendan ungeduldig.
    »Halt mal schön den Ball flach, Großer«, antwortete Willie. »Ich weiß nicht, was du bei der ganzen Sache für eine Rolle spielst, und will es auch nicht wissen. Aber ohne mich ist hier Endstation. Klar?«
    »Jeder hier ist wichtig«, ging Karl hastig dazwischen und versuchte, die Situation zu entschärfen. »Aber ihr müsst beide konzentriert bei der Sache bleiben … bitte … für Katie.«
    Es folgte ein zerknirschtes Schweigen, dann ertönte Willies Stimme in der Dunkelheit. »Du hast recht, Karl. Wir benehmen uns wie Schulkinder beim Weitpisswettbewerb. Entschuldige.«
    »Konzentrier dich«, wiederholte Karl.
    »Ich hab’s!«, rief Willie triumphierend aus. »Ich hab das Scheißding geknackt!«
    »Gut, Willie. Gut«, sagte Karl anerkennend, wobei ihm die Erleichterung ins Gesicht geschrieben stand.
    Sekunden später traten die drei Männer ein und schlossen hastig die Tür hinter sich.
    Es herrschte völlige

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