Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche
damit, das nächste Mal erst vorbeizukommen, wenn es eine Trauerfeier für Kalganow auszurichten gäbe. Doch da ließ sie Aminat außer Acht.
Aminat warf sich mir um den Hals und benetzte meine Perlenkette mit ihren Tränen. »Oma, ich will, dass du mitkommst«, schluchzte sie in mein Gesicht.
Ich löste ihre Hände von mir und streichelte ihr über den Kopf. Sie krallte sich an meinem Kleid fest. Ihr Gesicht verzog sich zu einer hässlichen Grimasse. »MEINE OOOOOMIIII!!! ICH WIIILLL NICHT WEG VON DIIIIIIHHHR!«
Sulfia wurde blass. Mein Schwiegersohn wusste nicht so recht, was er sagen sollte. Mein Mann tat, als wäre er gerade woanders. Ich streichelte Aminats kühles Haar.
»Wir sehen uns bald, Liebes«, sagte ich.
Sulfia zuckte zusammen. Aminat hörte schlagartig auf zu weinen. Sie hob ihr kleines verheultes Gesichtchen zu mir hoch.
»Mama will das nicht«, sagte sie.
»Ach, so ein Quatsch!« sagte mein Schwiegersohn laut. Sulfia blieb stumm.
»Mama wird es sicher erlauben«, sagte ich mit fester Stimme. »Ich hole dich am Mittwoch aus dem Kindergarten ab, ja?«
Aminat fuhr herum und packte Sulfia an den Enden ihres Wollschals. »Mama, Oma holt mich am Mittwoch ab, ja?!«
»Mittwoch passt gut«, sagte mein Schwiegersohn und zwinkerte mir zu. Er fuhr Sulfia durch die Haare, als wäre sie seine kleine Schwester.
»Nicht wahr?« wiederholte er, und es klang bedrohlich.
Sulfias Augen waren dunkel und matt. Sie nickte.
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Eine zivilisierte Familie
Wir wurden eine zivilisierte Familie.
Ich holte Aminat zum ersten Mal in ihrem neuen Kindergarten ab. Sie schrie vor Freude und sprang im Kreis. Ich ermahnte sie, sie solle sich anziehen. Sie jubelte und tanzte weiter. Eine Erzieherin schaltete sich ein: »Anja, du störst schon wieder die ganze Gruppe.« Aminat streckte ihr die Zunge raus.
Ich mischte meiner Stimme ein wenig Metall bei.
»Zieh dich an, Schajtan.«
Ich steckte ihre Füße in die Stiefel und wickelte den Schal um ihren dünnen Hals. Es war alles so beiläufig und normal. Als hätte es diese Zeit nicht gegeben, in der mein Herz zu zerreißen drohte aus Kummer, sie nicht zu sehen. Aminat hörte auf zu schreien, setzte sich verträumt lächelnd auf die Bank und streckte mir ihre Füße entgegen. Ich hatte nicht vergessen, wie es ohne sie gewesen war. Keine Sekunde hatte ich vergessen.
Ich zog die Wollfäustlinge über Aminats zappelige Hände. Sie sah mir direkt in die Augen. Sulfia hatte das nie gemacht. Sulfia wandte ihren Blick immer ab, das ist so geblieben. Aber Aminat sah niemals weg, egal, wer sie anschaute.
Ich nahm sie an die Hand und führte sie zur Bushaltestelle. Aminat stapfte durch die Pfützen, das Wasser spritzte umher, ich ermahnte sie kaum, weil mein eigenes Herz gerade so jubelte. Der Winter wich zurück, der Schnee sackte in sich zusammen und wurde grau. Die Luft wurde wärmer und füllte sich mit Düften. Die Bäume waren noch nackt, doch ihre Zweige hatten neue Kraft.
Wir stiegen in den Bus, der uns nach Hause brachte. Aminat saß am Fenster, lachte und zeigte mit dem Finger auf die vielen Dinge, die ihr auffielen. Der Frühling stand vor der Tür, und mein Herz klopfte vor Liebe.
Wir waren eine zivilisierte Familie, wir gingen gut miteinander um. Ich holte Aminat oft vom Kindergarten ab, um den jungen Leuten zu helfen, die beide viel arbeiten mussten.
Ich fragte mich, was sie früher ohne mich gemacht hatten. Ohne meine Ratschläge, ohne meine Hilfe. Oft nahm ich Aminat zu mir nach Hause, weil es bei uns sauberer war und sie dort alles hatte, was sie brauchte. Sulfia mochte es aber lieber, wenn Aminat in ihrer Wohnung blieb, und wenn Sergej mich darum bat, erfüllte ich ihm diesen Wunsch. Dann passte ich eben in Sulfias Wohnung auf Aminat auf, auch wenn das weniger praktisch war.Wir spielten, ich las ihr vor, wir malten zusammen, ich erzählte ihr lehrreiche Geschichten aus meinem Leben und dem Leben anderer Menschen. Sie hörte zu, aber nicht sehr aufmerksam. Irgendwann war sie mit den Gedanken woanders und begann zu summen.
Ich hielt es für meine Pflicht, Aminat zu erziehen, ihr zu sagen, was richtig und was falsch war. Ich war nicht umsonst studierte Pädagogin. Bei mir schmatzte sie nicht am Tisch und griff nicht mit den Händen in eine gemeinsame Schüssel. Ich schlug ihr schon mal ins Gesicht oder auf die Finger, wenn sie Sachen machte, die ich aus guten Gründen ablehnte, wie in der Nase bohren oder sich zwischen den Beinen kratzen. Ich nannte sie
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