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Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Titel: Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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Fensterbank nicht nur Vorteile. Im Leben gab es bekanntlich nichts geschenkt. Für meine Freiheit musste ich zahlen. Zum Beispiel war ich ab jetzt eine verlassene Frau. Das war kein glänzender Status. Ich musste damit leben, dass man mich schief ansah. Aber alles andere lag, mit Gottes Hilfe, in meiner eigenen Hand.
    Mein Mann war feige: Er überließ es mir, die Nachricht seiner Tochter und seiner Enkelin zu überbringen.
    Ich beschloss, mir meinen Mangel an Kummer nicht anmerken zu lassen. Ich fuhr zu Sulfia. Ich fand, das Ereignis zwang jetzt alle dazu, frühere Unstimmigkeiten und den Gebrauch der Stiefel und böser Worte zu vergessen. Bevor ich wegfuhr, ließ ich einen Brief für Kalganow auf der Fensterbank. »Wir sollten zivilisiert miteinander umgehen. Ich wünsche dir alles Gute, auch für die Gesundheit. Bitte lass mir deine neue Telefonnummer da, damit alles beisammen ist. Deine Rosa.«
    Ich wusste, dass er noch mal vorbeikommen würde, um seine Sachen abzuholen, und einen Moment abpassen würde, in dem ich nicht da war. Wenn er mir schon in besseren Zeiten immer aus dem Weg gegangen war, würde er ausgerechnet jetzt kaum eine Begegnung riskieren.
    Ich fuhr abends mit dem Trolleybus zu Sulfia. Sie öffnete die Tür, ihr Gesicht war müde und abgewandt.
    »Mutter? Komm rein.«
    Ich hatte den Lippenstift weggelassen, mir nur ein wenig die Wangen und die Stirn gepudert. Ich hatte meine einfachsten Kleider angezogen, die ich sonst trug, wenn ich zu unserem Garten auf dem Land fuhr. Nur die Stiefel mit den Absätzen behielt ich an.
    »Alles in Ordnung?« fragte Sulfia, nachdem sie mir endlich ins Gesicht gesehen hatte.
    »Weißt du es noch nicht?«
    »Ist was mit dem Papa?«
    »Das kann man wohl sagen«, sagte ich.
    Jetzt war sie erschrocken. »Was ist passiert?«
    »Dein Vater hat mich verlassen.«
    Sie lehnte sich gegen die Wand. Ihre Gesichtszüge entgleisten.
    »Was?« fragte sie. »Was hast du gesagt?«
    »DEIN VATER HAT MICH VERLASSEN.«
    »Nein … Er?… Dich? … Nein.«
    »Doch«, flüsterte ich.
    Sulfia sank vor mir auf die Knie und versuchte, meinen Blick von unten einzufangen.
    »Mama«, sagte sie flehend, »Mama, nicht!«
    Sie dachte wohl, dass ich weine.
    Ich bedeckte mein Gesicht mit den Händen, um sie in diesem Glauben zu lassen. Sulfia stand schnell auf und legte ihre Hände auf meine, und ich zuckte zusammen: Es war lange her, dass wir uns das letzte Mal berührt hatten.
    »Mama«, bat sie mich hilflos. »Bitte, Mama, nicht traurig sein.«
    »Lass mich!« sagte ich. Sulfias Lippen begannen zu zittern, als wäre sie verlassen worden und nicht ich.
    »Es ist niemand gestorben«, sagte ich für den Fall, dass sie es missverstanden hatte.
    »Wäre es dir lieber, er wäre gestorben?«
    Ich dachte nach. »Ja, das wäre vielleicht sogar noch besser gewesen.«
    Sulfia stellte keine Fragen mehr.

[Menü]
    Ich war ein Vorbild
    Der Weggang meines Mannes hatte, wie gesagt, seine Vorteile. Einer davon war, dass Sulfia anfing, mich zu mögen. Es schien, als wäre ihr zum ersten Mal aufgegangen, was für ein liebenswürdiger Mensch ich eigentlich war.
    Sie begann, mit mir zu reden. Sie fragte mich, wie es mir ging. Ich schonte ihre Gefühle, indem ich eine nicht allzu fröhliche Darstellung meiner gegenwärtigen Situation ablieferte. Sie rief mich jeden Morgen an, um mich das zu fragen. Es schien, als machte sie sich Sorgen, dass ich mich in der Nacht erhängt haben könnte. Und einmal rief sie mich an und sagte: »Ich weiß, wer sie ist. Papas neue Frau.«
    Ich lackierte mir gerade die Fingernägel. Ich hatte den Lack auf einem Basar gekauft, angeblich war er aus Deutschland. Er war kirschrot. Ich hielt meine linke Hand mit gespreizten Fingern in die Luft. Mit der rechten hielt ich den Hörer. Die Nägel der rechten Hand waren bereits lackiert. Ich achtete darauf, dass der Lack nicht verschmierte. Er trocknete schnell, er war viel zu alt. Das hatte ich beim Auftragen gemerkt: Er war zu fest. Ich hatte vier Rubel für dieses Fläschchen gezahlt und war verarscht worden. Die Ware war nicht deutsch, sie war minderwertig.
    »Und?« fragte ich wütend.
    Sulfias Stimme zuckte im Hörer. Sie wusste nichts von meiner Nagellack-Enttäuschung, sie dachte, ihre Nachricht hätte mich ins Herz getroffen.
    »Bitte beruhige dich«, flehte sie mich an. »Man kann nichts mehr rückgängig machen.«
    Manches schon, dachte ich. Ich konnte den trockenen Nagellack zurückbringen, ihn der Händlerin ins Gesicht werfen und

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