Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche
auf den Boden. Seine dichten schwarzen Wimpern, die ich einmal so geliebt hatte, flatterten wie bei einem jungen Mädchen. Mir wurde warm ums Herz: Ich erinnerte mich an die Hungerjahre meiner Jugend. Schade, dass Sulfia diese Wimpern nicht geerbt hat, dachte ich. Aber gut, dass zumindest Aminat sie hatte.
»Also«, fragte ich, »bin ich eine böse Frau?«
»Aber wie kommst du denn darauf, Liebchen«, stammelte mein Mann. »Du bist ganz, ganz wunderbar. Du bist die Beste. Du bist so klug … Und so schön … Und du kochst so gut!«
»Aber das sagt doch gar nichts darüber aus, ob ich böse bin oder nicht«, beharrte ich. »Ich kann eine tolle Köchin sein, und trotzdem leiden alle unter mir.«
»Nein, mein Eichhörnchen«, sagte mein Mann, ein Kosewort unserer Anfangsjahre benutzend. »Unter dir leidet … leidet niemand. Du bist so gut zu uns allen.«
»Auch zu Sulfia?«
»Sulfia …« Mein Mann dachte nach. Ich wartete. »Sulfia«, sagte mein Mann, »ist doch deine einzige Tochter. Du wolltest immer nur ihr Bestes.«
»Das will ich immer noch.«
»Ja. Ich weiß.«
»Und denkst du, Sulfia weiß es auch?«
»Bestimmt. Also früher wusste sie es vielleicht nicht.Das ist ganz normal bei einem Kind, dass es seine Eltern nicht zu schätzen weiß. Aber jetzt ist sie groß, und ich glaube, jetzt ahnt sie, wie sehr du sie liebst.«
Ich hörte aufmerksam zu. Ich war überrascht, dass mein Mann sich so viele Gedanken gemacht hatte.
»Bist du sicher?« fragte ich.
Mein Mann wandte sich ab, stocherte in seinem Ragout und schielte vorsichtig zu mir rüber, als hätte er Angst, dass ich ihm gleich sein Essen wegnehmen würde.
»Ganz, ganz sicher«, sagte er. »Du bist meine Beste, meine Schönste … und du hast so ein gutes Herz.«
Wenn mein Mann das so sah, dachte ich, dann konnte es auch Aminat nicht entgangen sein. Dann konnte sie ihre Worte nicht ernst gemeint haben. Dann war sie einfach nur frech.
Fünf Tage später kam ich nach Hause und fand einen Brief meines Mannes auf der Fensterbank. In dem Brief stand, dass er eine andere Frau liebte und ab jetzt mit ihr zusammenleben wollte. Er dankte mir für die gemeinsamen Jahre und bat mich herzlich, ihn in Ruhe zu lassen.
Mehr stand nicht drin.
Es soll Frauen geben, die bei einer solchen Nachricht in Tränen ausbrechen. Ihnen knicken die Beine ein, und dann lassen sie sich auf die Küchenfliesen mit Schachbrettmuster sinken, und andere Angehörige müssen große Schritte über sie machen, wenn sie zum Kühlschrank wollen. So eine war ich nicht.
Ich kochte mir als Erstes einen Tee, und zwar nach allen Regeln der Kunst. Ich wärmte die Kanne vor und übergoss die Teeblätter mit kochend heißem Wasser. Wenn ich irgendetwas hasste, dann schlecht gemachten, minderwertigen Tee. Ich trank meinen hervorragendenTee mit kleinen Schlucken, aß selbst gekochte Stachelbeermarmelade und dachte nach.
Ich stellte mir vor, wie ich zur Tür reinkam und keiner da war, der gerade in der Küche schmatzte. Der meine Nerven damit strapazierte, dass er mein vorbereitetes Essen kalt verzehrte, weil er nicht in der Lage gewesen war, es aufzuwärmen. Überhaupt das Essen: Ich könnte das Kochen jetzt fast komplett lassen. Ich würde mir morgens einen Haferbrei kochen und abends einen Salat machen. Wie viel Zeit ich mir damit sparen könnte! In dieser Zeit könnte ich lesen, fernsehen oder Gymnastikübungen machen.
Ich überlegte weiter. Ich würde mit niemandem sprechen müssen, wenn ich von der Arbeit heimkam. Ich begann zu zählen, wie viele Hemden ich pro Woche nicht mehr waschen und bügeln müsste, Socken, Hosen, Unterhosen.
Einkaufen! Ich würde kaum noch schwere Einkaufstüten schleppen müssen, weil ich jetzt viel weniger Lebensmittel brauchte. Ich würde nicht mehr so viel Dreck wegräumen, denn ich machte keinen Dreck. Ich könnte mit Gott reden, so viel ich wollte. Ich würde mich viel weniger aufregen, weil niemand mehr da war, über den ich mich ständig aufregen müsste. Und ich könnte mich mit Männern treffen. Neuen, jüngeren Männern, die Komplimente machten und am Morgen wieder weggingen, nach Hause zu Mama oder zur Freundin, mir doch egal. Die mir wieder das Gefühl gaben, eine Frau zu sein. Denn ich muss gestehen, ich mochte es längst nicht mehr, wenn Kalganow mich anfasste. Wenn er im Schlaf versehentlich mein Bein streifte, zuckte ich angewidert zurück. Absichtlich machte er das alles ja längst nicht mehr.
Natürlich hatte dieser Brief auf der
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