Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Titel: Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
Vom Netzwerk:
hatte ich versucht, die Fehler anderer Menschen auszugleichen, durch Rat, durch Tat, durch meinen guten Willen. Das ist bekanntlich keine dankbare Aufgabe.
    Manchmal unterbrach ich das Nachdenken, stand auf und ging zum Fenster. Oft sah ich meinen Mann unter der Laterne stehen. Manchmal auch nachts. Ich fragte mich, was das sollte. Ich öffnete das Fenster nicht mehr, damit er nicht auf die Idee kam, dass ich ihn zu mir rief. Er unternahm nichts, stand einfach da und sah elend aus.
    Aber ich hatte ganz andere Sorgen.
    Ich hatte meinen Schwiegersohn mit einem blonden Fräulein in der Innenstadt gesehen.
    Sie saßen im Café, in der Sonne, an einem kleinen runden Tisch, wie in einem ausländischen Film. Sie aßen Eis aus Glasschälchen. Sulfia machte so etwas nie, im Café sitzen und Eis essen. Die Fremde lachte wie eine Bekloppte. Mein Schwiegersohn lächelte und sah sie an. Ab und zu nahm er ihre Hand, die sie ihm schnell wieder entriss, um damit in der Luft zu fuchteln. Eine sehr unruhige junge Frau war das.
    Ich versteckte mich hinter dem Lenin-Denkmal. Mit meinen Adleraugen konnte ich alles sehen. Wie er bezahlte und ihr in den Mantel half. Einen hellgrünen, sehr gewagt in der Farbe. Ich kannte alle Modelle der letzten fünf Jahre, die in den Handel gekommen waren, ich hätte sieauswendig aufsagen können – und dieser Mantel war nicht dabei gewesen. Dieser Mantel sah verdächtig nach Amerika aus. Dieser Frau hatte mein Schwiegersohn offenbar keine Hauslatschen mitgebracht.
    Sie gingen zusammen zur Haltestelle. Dort küssten sie sich vor aller Augen. Wie schamlos war das? Hätten sie dafür nicht wenigstens einen Hauseingang finden können oder einen menschenleeren Park?
    Ich konzentrierte mich auf die Möglichkeiten, die ich hatte.
    Eine davon, nämlich loszurennen und die Schlampe in Grün unter die herannahende Straßenbahn zu schubsen, verwarf ich. Ich würde einen anderen Weg gehen. Ich zweifelte nicht daran, dass es ihn gab. Ich musste ihn nur finden – und wenn ich das alles so betrachtete, hatte ich sehr wenig Zeit.
    Bald hatte ich eine gute Idee. Ich wartete auf Sulfia vor dem Eingang ihrer chirurgischen Klinik. Sie arbeitete sehr viel, sie hatte es doch noch geschafft, ihre Ausbildung nachzuholen und eine richtige Krankenschwester zu werden. Als sie endlich erschien, beladen mit fünf prall gefüllten Netztaschen, in denen sie, wie jede normale verheiratete Frau, die Lebensmitteleinkäufe aus der Mittagspause verstaut hatte, da reagierte sie gelassen.
    »Mutter?« sagte sie. »Was ist los?« Sie sah auf das Paket, das ich in der Hand hielt, und ihre Augenbrauen rückten dichter zusammen. »Ich probiere das ganz bestimmt nicht an. Spar dir doch die Mühe, bitte.«
    Ich hatte nämlich vor einiger Zeit angefangen, ihr zu helfen, sich besser anzuziehen. Jetzt, wo ich sie öfter sah, konnte ich es einfach nicht ertragen. Irgendwelche Hosen, die anKnien und Hintern ausgebeult waren, dazu ein Pullover aus dem Schrank ihres Mannes. Da brauchte man sich wirklich über gar nichts zu wundern. Und so begann ich ihr Sachen mitzubringen, die mir Bekannte und Kollegen zum Kauf angeboten hatten, weil sie diese auf verschlungenen Wegen erworben und dann festgestellt hatten, es passte doch nicht. Es waren schöne Sachen, anders als die Alpträume aus fäkalienfarbenem Stoff, die in den Läden hingen. Ich hatte Sulfia bereits eine cremefarbene Bluse angeboten, mit großen goldenen Knöpfen. Ein Kleid, das bis zum Knie ging und den Busen – selbst wenn nicht vorhanden – vorteilhaft betonte. Jede Menge Kleider, Blusen, Hosen, aber Sulfia weigerte sich, sie zu tragen. Sie probierte nichts davon an, und nicht einmal ich schaffte es, sie zu zwingen.
    Diesmal hatte ich einen besonderen Schatz in die Hände bekommen. Einen leichten Mantel aus Wolle, in einem zarten Rosaton. Sulfia mit ihrem rabenschwarzen Haar hätte wie eine Prinzessin darin ausgesehen. Das sagte ich ihr. Sie schüttelte den Kopf, stur wie ein Maulesel. Da rackerte ich mich ab, um ihre Ehe zu retten, und sie schüttelte einfach nur den Kopf.
    »Du hast den Mantel doch noch gar nicht gesehen«, sagte ich.
    »Ich brauche keinen Mantel,« sagte Sulfia. »Mir reicht dieser da.«
    »Aber Tochter, dieser da ist schon zehn Jahre alt.«
    »Na und? Fast wie neu.«
    »Sulfia, hör auf deine Mutter.«
    »Mutter, wir sparen uns viel Zeit, wenn du mir nicht mehr diesen Kram bringst. Ich habe genug eigene Sachen.«
    »Das sehe ich.«
    »Was ich trage, muss dir nicht

Weitere Kostenlose Bücher