Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche
eine amerikanische Sonnenbrille auf der Nase, und seine Haare waren länger geworden, das war mir gestern gar nicht aufgefallen, weil Sulfia mich so abgelenkt hatte.
»Lädst du mich auf einen Kaffee ein?« fragte ich.
Wir setzten uns an den gleichen Cafétisch, an dem ich ihn mit seiner Neuen gesehen hatte. Die Bedienung ließ auf sich warten, wir hatten ja noch den Sozialismus. Ich sagte nichts, ich wollte, dass Sergej als Erster zu sprechen begann. Aber er lehnte sich zurück und sah – ich konnte nicht genau feststellen, wohin er sah, er hatte ja die Sonnenbrille auf. Wir schwiegen fünf Minuten, dann zehn.
»Und jetzt?« fragte ich.
Er zuckte mit den Schultern, faltete die Hände im Schoß, verschränkte sie.
»Es tut mir leid«, sagte er.
»Schämst du dich nicht?«
»Doch«, sagte er. »Und wie.«
»Sie ist krank vor Kummer«, sagte ich. »Das ist alles deine Schuld.«
»Aber Sie sind ja auch noch da«, sagte Sergej.
»Ich werde dich verfluchen und verdammen«, sagte ich.
Er seufzte und sah in Richtung Horizont.
»Und sie behält die Wohnung.«
Sergej zeigte erste Anzeichen von Gefühlen.
»Wie bitte? Und wo soll ich leben? Wir haben ja im Moment drei Zimmer, das ist sowieso viel zu viel für zwei Leute, und wir werden einen Tausch gegen zwei kleinere Wohnungen veranlassen, eine für mich, eine für sie.«
»Das werdet ihr nicht. Sulfia bleibt mit Aminat in der Wohnung. Du kannst zu deiner Neuen ziehen.«
»Sie wohnt noch bei ihren Eltern.«
»Dein Problem.«
Jetzt sah er richtig bekümmert aus. Ich wusste, dass das allgegenwärtige Wohnungsproblem einem die Liebe richtig madig machen konnte. Was hatte man von seiner Leidenschaft, wenn hinter der dünnen Wand Schwiegereltern fernsahen und kleine Neffen oder Nichten jederzeit ins Zimmer stürmen konnten. So gut wie mit Sulfia würde es Sergej nirgends mehr haben, wenigstens dafür wollte ich sorgen.
Er nahm endlich seine Brille ab. Seine Augen waren rot geädert.
»Dann habe ich dir nichts mehr zu sagen«, sagte ich und stand auf.
»Melden Sie sich, falls was ist«, sagte Sergej. Ohne diese Brille erinnerte mich sein Gesicht an eine Hundeschnauze.
»Unbedingt«, versprach ich und ging auf meinen hohen Absätzen davon.
Das mit der Wohnung war ein kleiner Sieg, der merkwürdig mühelos war. Hätte Sergej sich gesperrt (und anstelle seiner Neuen hätte ich darauf bestanden, dass er einen Wohnungstausch arrangierte), dann hätte ich nicht viel in der Hand gehabt: Sulfia und Sergej waren beide in der Wohnung registriert, es wäre legal gewesen, sie zu teilen oder gegen zwei kleinere einzutauschen.
Ich kam nicht dazu, diese Errungenschaft auszukosten: Sulfia brach völlig zusammen. Sie hatte einfach keine Lust, sich ein Beispiel an mir zu nehmen.
Sie blieb im Bett liegen. Aminat begann, sich den Wecker selber zu stellen. Wenn der Wecker klingelte, stieg sie aus dem Bett und ging barfuß zu ihrer Mutter, um guten Morgen zu sagen und zu schauen, ob sie noch lebte. Aminats größte Angst war, dass Sulfia sterben könnte.
Sulfia drehte sich nur stumm auf die andere Seite. Aminat ging in die Küche und machte sich ein Butterbrot. Dann nahm sie ihren Ranzen und den Wohnungsschlüssel und ging zur Schule, in zerknitterter Schuluniform, mit dreckigen Fingernägeln und mit Zöpfen, die schon in der ersten Stunde in ungekämmte Strähnen zerfielen.
Ich kam jeden Tag und tat mein Bestes, um Leben und Ordnung in diesen Haushalt zu bringen. Ich riss Sulfia die Decke weg, aber sie rührte sich nicht. Ein paarmal kippte ich eine Tasse kaltes Wasser über ihr aus, aber auch das bewirkte nichts. Sie war ein schwieriger Fall. Ich musste selber zur Arbeit, ich konnte nicht tagelang an Sulfias Bettrand sitzen und ihr beim Nichtstun zusehen. Bevor ich ging, stellte ich eine Tasse Tee und ein paar Käsebrote auf Sulfias Nachtisch.
Nach der Arbeit kaufte ich ein und eilte zu Sulfia und Aminat. Sulfia lag im Bett, sie hatte ihr Essen nicht angerührt. Es kam immer öfter vor, dass Aminat nicht da war. Ich ging auf die Suche, rief laut ihren Namen und guckte hinter den Garagen, in den Kellern und im Gebüsch. Aminat tauchte immer auf, wenn ich gerade in die entgegengesetzte Richtung schaute, und rief hinter meinem Rücken: »Da bin ich doch!«
»Wo warst du?« fragte ich und zog sie heftig an einem ihrer schlampigen Zöpfe. Sie lächelte mir ins Gesicht und antwortete: »Spazieren!«
»Mit wem?« fragte ich streng.
»Allein!« lachte sie.
Es war klar, dass
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