Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche
Angehörigen meines Mannes, die ihre Wurst selber machten, anstatt sie im Laden zu kaufen.
Kalganows Verwandte widmeten sich dem Kasylyk, der Pferdewurst. Mal standen Töpfe herum, in denen das Pferdefleisch tagelang einweichte. Dann drehten sie Tierdärme um, wuschen sie mit kaltem Wasser aus, putzten den Schleim von den Darmwänden, drehten sie hin und her, nähten ein Ende zu. Füllten Fleisch und Speck hinein, banden die offenen Enden ab und hängten die Würste für mehrere Tage in die Sonne. So hingen sie herum, sachte im Wind pendelnd, und aus den Löchern, die in die Darmhaut hineingestochen wurden, tropfte das Fett auf die Erde. Nach einigen Tagen wanderten die Würste für Monate in den Keller, doch schon am Abend fand ich gekochten Kasylyk aus der früheren Herstellung auf dem Esstisch vor, in dicke Ringe geschnitten. Ich rührte nichts an: Die Verwandten wuschen sich nie die Hände.
Es war furchtbar, aber ich biss die Zähne zusammen. Es waren sehr einfache Leute. Sie sprachen ein alptraumhaftes Russisch. Ich redete tatarisch mit ihnen, sie verstanden nichts anderes.Ich hatte die Sprache schon fast vergessen gehabt, weil ich ja meine Familie früh verloren hatte und im Kinderheim Russisch gesprochen wurde. Jetzt grub ich die Wörter aus den Tiefen meiner Erinnerung hervor und war erstaunt, wie gut es ging.
Kalganows Verwandte brachten mit ihrem ständigem Grinsen und aufblitzenden Zähnen sogar Sulfia zum Lächeln. Erst ahmte sie ihre Sprache nach, in dem sie TYR-PYR-MYR vor sich hin murmelte. Dann aber ließ sie aufgeschnappte Wörter oder Satzfetzen fallen, die nicht immer sinnlos waren. Ich ging nicht darauf ein. Ich war stolz auf mein tadelloses Russisch, seit mir klar war, dass es nicht selbstverständlich war.
Hauptsache, sie hatten Ziegen. Nur deswegen fuhren wir aufs Land, und dann noch wegen der guten Landluft. Wobei mir die Abgase meiner Stadt deutlich lieber waren als der Kuhmist, den ich auf dem Land atmen musste. Doch für mein Kind riss ich mich zusammen. Ich hatte gehört, dass Ziegenmilch stark und gesund machte, und Sulfia war so mickrig.
Jeden Morgen und jeden Abend bekam Sulfia eine Tasse frisch gemolkene Ziegenmilch. Natürlich abgekocht, denn hier war alles voller Keime. Ich kochte sie persönlich ab und nutzte dafür einen Aufsatz am Lehmofen.
Sulfia machte ein klägliches Gesicht, wenn sie die volle Tasse sah. Es schmeckte ihr nicht. Ich sagte zu ihr: Das ist Medizin, damit du nicht ganz verblödest. Sulfia roch an der Tasse, angewidert, unglücklich. Sie sah mich an. Mein Blick konnte noch ganz andere Menschen dazu bringen, aus dem Fenster zu springen. Da war es ein Kinderspiel, Sulfia zum Trinken zu bewegen. Sie stürzte die Milch herunter. Dann griff sie sich an den Bauch. Wenn man die Milch so rasch austrank, dann kriegte man natürlichBauchweh. Sulfias leidender Gesichtsausdruck ging mir auf die Nerven.
Es kam vor, dass sie sich die Hand vor den Mund hielt und hinausrannte, um sich in die Himbeerhecke zu übergeben. Sie war ja ein braves Mädchen und hätte niemals den Boden verunreinigt. Wenn Sulfia die Ziegenmilch erbrochen hatte, gab ich ihr eine zweite Tasse und achtete darauf, dass sie diese ganz langsam leerte. Ich weiß nicht, ob meine Tochter ohne diese Milch das Schulalter überhaupt erreicht hätte. Ich opferte mich auf, damit sie sich besserte.
Ich selber trank keine Ziegenmilch. Nur einmal hatte ich sie probiert, aus Neugierde, als Sulfia sich das erste Mal über den bitteren Geschmack beschwert hatte – sie beschwerte sich ja sonst nie über irgendetwas. Ich nahm einen Schluck und rannte im gleichen Augenblick selber zu den Himbeersträuchern. Ja, diese Milch war ungenießbares Zeug, und ich war froh, dass ich nicht diejenige war, die sie unbedingt trinken musste.
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Ganz andere Sorgen
Die ersten Tage ohne meinen Mann füllte ich mit Nachdenken. Ich ließ mein Leben Revue passieren. Es war klar, dass nicht alles glattgelaufen war. Aber ich hatte aus jeder Situation das Beste gemacht. Mit Ende 20 musste ich mir zum Beispiel einen neuen Pass ausstellen lassen, weil mein alter gestohlen worden war. Dafür brauchte ich meine Geburtsurkunde, die ich aber nicht mehr hatte. Das Kinderheim, in dem ich den größten Teil meiner Kindheit verbracht hatte, war abgebrannt, alle Unterlagen waren vernichtet. Die Ausstellerbehörde musste sich auf meine Angaben verlassen – also machte ich mich sieben Jahre jünger, was sowieso sehr gut zu mir passte.
Immer
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