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Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Titel: Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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dafür, dass er seine Lehrerin zu Hause gelassen hatte. Die Rosenbaums sollten erst nach der Hochzeit erfahren, dass die Familie nicht komplett war.
    Rosenbaum zog nicht gleich zu Sulfia und Aminat. Ich war bereit, ihm Zeit zu lassen. Allerdings nicht zu viel. Bis zur Geburt des neuen Kindes sollte er sich schon daran gewöhnt haben, Sulfias Mann zu sein. Allmählich spielte sich bei den Jungvermählten ein gewisser Rhythmus ein. Rosenbaum fing an, bei Sulfia und Aminat zu übernachten,erst am Wochenende, dann auch unter der Woche. Er brachte gelegentlich Sachen von zu Hause mit, selbst gebackene Plätzchen, ein Stück Braten, Frikadellen oder ein Glas eingelegte Tomaten. Er kommandierte Aminat nicht herum und spülte seine schmutzigen Teller selber. Seine Wäsche trug er zur Mutter Rosenbaum. Das war kein Dauerzustand, aber für Sulfia ziemlich perfekt.

[Menü]
    Der Weltuntergang
    Eines Nachts wurde ich von einem Knall geweckt und schlief dann wieder ein. Am Morgen trat ich ans Fenster, um die schweren Vorhänge beiseitezuschieben, und staunte. Am Horizont schraubte sich eine gigantische schwarze Rauchsäule in den Himmel. In dieser Richtung lag der Hauptbahnhof. Sulfia und Aminat wohnten woanders, ich rief sie trotzdem an. Aminat war am Telefon.
    »Warum bist du nicht in der Schule?« fragte ich.
    »Mama weint«, sagte Aminat. »Wegen der Explosion.«
    »Sie darf nicht weinen«, sagte ich.
    Ich rief auf meiner Arbeit an und sagte, ich könne wegen der Explosion nicht kommen. Sie wussten offenbar mehr als ich, denn sie stellten keine weiteren Fragen. Auf dem Bürgersteig knirschten Glasscherben unter meinen Stiefeln. Ich hob den Arm an, ein kleiner orangefarbener Moskwitsch hielt sofort an. Am Steuer saß ein fröhlicher bärtiger Mann, ich nannte ihm Sulfias Adresse und fluchte über die Scherben, die die Sohlen meiner Schuhe ruinierten.
    »Ist Ihr Fenster auch geplatzt, Dämchen?« fragte mich der Fahrer.
    Ich wischte meine Hand am Sitzpolster ab.
    »Das ist eine Zumutung, eine Sauerei«, sagte ich.
    »Ist Ihr Fenster auch geplatzt, frag ich?«
    »Wieso?«
    »Also bei uns im Haus sind mehrere Fenster eingekracht.«
    »Hat jemand Ihr Fenster eingeschlagen?«
    »Nein, waren Sie heute Nacht betrunken? Am Bahnhof ist eine Zisterne explodiert.«
    Bis ich bei Sulfia ankam, wusste ich alles. Am Hauptbahnhof war ein Waggon mit irgendetwas Brennbarem entgleist und gegen einen anderen geprallt. Es hatte eine Detonation gegeben, die einige Häuser im Umkreis des Bahnhofs fast ganz zerstört hatte und viele andere teilweise.
    Der Notarzt war schon da. Sulfia lag auf dem Bett, drückte sich die eine Hand gegen den Bauch und die andere aufs Gesicht. Tränen tropften ihr durch die Finger.
    »Michail ist verschüttet«, flüsterte Sulfia, als ich mich zwischen die Weißkittel drängte, um sie zu fragen, welches Problem sie schon wieder hatte.
    »Ach so«, sagte ich. »Reg dich jetzt bloß nicht auf, Tochter.«
    Aber Sulfia hörte nicht auf mich, sie regte sich furchtbar auf. Sie wurde von Weinkrämpfen geschüttelt. Ein bisschen konnte ich sie verstehen, sie hatte gerade geheiratet, da war das schon schade.
    »War er sofort tot?« fragte ich, und sie schrie: »Tot?! Was redest du da? Wie kannst du nur?«
    »Er ist nicht einmal tot?« fragte ich.
    »Warten Sie mal vor der Tür, Frau«, sagte der Notarzt, weil Sulfia sich gerade wie eine Wahnsinnige aufbäumte.
    Wenig später schob man sie auf einer Trage an mir vorbei. Dabei griff sie nach meiner Hand. »Mutter, bitte versprich mir …«
    »Was?«
    »Dass du dich um sie kümmerst.«
    »Um wen?« Dass ich mich um Aminat und die verdammte Parasit kümmern würde, war ja sowieso klar.
    »Um Michail, Mutti und Vati«, flüsterte Sulfia.
    »Mutti und Vati?«
    Die Sanitäter wollten an mir vorbei. Ich entriss Sulfia meine Hand und wischte ihr im Vorübergehen die Wangen trocken. »Schöne Zeit im Krankenhaus, Tochter«, sagte ich.
    »Versprichst du mir das? Dass du sie nicht im Stich lässt?«
    »Mein Gott, Sulfia, haben wir denn nicht genug eigene Sorgen!«
    »Bitte!«
    Widerwillig nickte ich und blieb dann in der Wohnung mit der heulenden Aminat und einer eingeschüchterten Parasit, die gerade aus dem Schuhschrank kletterte, in dem sie sich vor den fremden Leuten versteckt hatte.
    Ich war zu ehrlich und zu gutmütig. Ich hielt schon wieder mein Wort. Ich begann zu telefonieren. Ja, das Stockwerk über den Rosenbaums war eingestürzt und ein paar von ihren eigenen Wänden auch. Die

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